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Archiv-Artikel

Kleiner Grenzübergang – große Wirkung

Ab heute kontrollieren am Grenzpunkt Rafah zwischen Gaza-Streifen und Ägypten auch die Palästinenser. Ein Stück schwer errungener Normalität – vorerst für vier Stunden täglich. Die israelische Regierung hatte lange Zeit Vorbehalte

JERUSALEM taz ■ An großen Worten mangelte es bei der offiziellen Eröffnungszeremonie nicht. Vom „palästinensischen Tor zur Freiheit“ war die Rede und von einem „Wendepunkt in der palästinensischen Geschichte“. Ab heute übernehmen die Palästinenser zum ersten Mal nahezu die volle Kontrolle über einen Grenzübergang zum Nachbarland. Täglich zunächst für je vier Stunden soll in der Grenzstadt Rafah, die zur Hälfte im Gaza-Streifen liegt, zur anderen in Ägypten, der Reiseverkehr ermöglicht werden. Allerdings unter Aufsicht europäischer Grenzexperten, ohne deren Mission ein Abkommen mit Israel nicht möglich gewesen wäre.

Die von der EU gesandten Beobachter in grüner Uniform und blauer Mütze können ihre palästinensischen Kollegen zu wiederholter Kontrolle eines bestimmten Reisenden auffordern. Kontrolliert wird der Reiseverkehr zusätzlich von auf israelischen Boden stationierten israelischen Grenzpolizisten, die per direktübertragener Kamerabilder das Geschehen an dem Übergang verfolgen.

Ob die Bilder live oder mit zeitlicher Verzögerung übertragen werden, blieb bis zum Schluss der zähen Verhandlungen Streitpunkt zwischen Israel und den Palästinensern. Ohne Vermittlung des Nahost-Quartetts bestehend aus USA, UNO, EU und Russland wäre es vermutlich nicht zu einer Einigung gekommen. Den Hauptanteil haben daran die vom Quartett beauftragten Sondergesandten James Wolfensohn und US-Außenministerin Condoleezza Rice, die im letzten Stadium ihren Einfluss auf die Konfliktparteien ausübten.

Die Öffnung der Rafah-Grenze ist ein kleiner, aber wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Der Übergang hat zwar keine große Bedeutung für die palästinensische Wirtschaft, da der Warenverkehr zum Großteil nach wie vor via Israel von und nach Ägypten geleitet wird. Auch der Personenverkehr ist gewöhnlich nicht sonderlich lebhaft. Trotzdem hat die ab sofort selbst verwaltete Grenze Symbolfunktion für die Unabhängigkeit der Palästinenser, die stets kritisierten, dass der israelische Abzug aus dem Gaza-Streifen nicht komplett sei, solange israelische Grenzer die Übergänge bewachen. Politisch grenzt die Zustimmung der konservativen Regierung in Jerusalem nahezu an ein Wunder. Israel schloss die alleinige Grenzkontrolle der Palästinenser bislang stets aus.

Bahnbrechend bei der Einigung über den Grenzbetrieb ist zudem die Stationierung von ausländischen Grenzexperten. Abgesehen von den Mitarbeitern der „TIPH“ (Temporäre Internationale Präsenz in Hebron), die seit dem israelischen Teilabzug aus Hebron 1997 lediglich eine Beobachterfunktion innehaben – hat es bislang keine konkrete Mission einer dritten Partei gegeben.

Israel hatte besonders gegen Anstrengungen von Seiten der Europäischen Union über viele Jahre große Vorbehalte. Die neue Offenheit in Jerusalem hat mehrere Ursachen: Zum einen ist es die geografische und wirtschaftliche Annäherung an die EU sowie das europäische Zutun beim Friedensplan „Roadmap“. Zum anderen ist es vor allem das Drängen der Europäer auf die Palästinenser in Richtung Reformen. Sollte das Modell Rafah sein Funktionieren unter Beweis stellen, wäre ein eigenständiger palästinensischer Grenzübergang auch zwischen dem Westjordanland und Jordanien denkbar. SUSANNE KNAUL