piwik no script img

Kleine blonde Maus

Alfonso Cuaróns „Great Expectations“ will die Rock'n'Roll-Verfilmung des Romans von Charles Dickens sein  ■ Von Anke Westphal

Ein kleiner Junge fährt mit dem Boot an Floridas Küste herum. Finn zeichnet Fische und Möwen, was er sehr gut kann, und bald auch ein kleines, hübsches und sehr kaltes Mädchen. Zunächst taucht jedoch ein Bösewicht (Robert De Niro) auf, dem Finn bei der Flucht hilft, was ihm der Bösewicht – Lustig heißt er – insgeheim mit Gutem vergilt. Über Jahrzehnte hinweg befördert Arnold Lustig die Entwicklung des armen Fischerjungen zum berühmten Künstler. – Vielmehr glaubt er dies, doch eigentlich ist sein Geld dem Jungen nur behilflich, ein rechtschaffener Stutzer zu werden. Der lustige Bösewicht De Niro ähnelt dabei zunehmend dem Weihnachtsmann oder, wahlweise, Senator Radunski. Was für ein lustiger Film!

Man könnte „Great Expectations“ analytisch abhandeln, so wie man auch mit Kanonen auf Spatzen schießen kann. „Great Expectations“ will eine Rock'n'Roll-Verfilmung des gleichnamigen Romans von Charles Dickens sein, ist aber tatsächlich eine so freche Beleidigung desselben, daß Dickens, würde er denn noch leben, die Urheber des Films zum Duell fordern müßte. Der Regisseur Alfonso Cuarón verlegt Dickens' Roman von der Themse und London nach Florida und ins New York der Gegenwart und verpaßt den meisten Figuren neue Namen. Finn fungiert in der Geschichte als kleine Labormaus im Käfig, deren Leben zu einem vermeintlich besseren manipuliert wird.

Es gibt gute und schlechte Filme, doch etwas wie „Great Expectations“ kommt einem selten unter: ein Film, der nicht lebt, bar jeder Seele und Intelligenz, was zu einem Gutteil den Hauptdarstellern Ethan Hawke und Gwyneth Paltrow zu danken ist. Paltrow und Hawke hat es in Dickens' Bildungsroman verschlagen wie zwei Idioten nach Harvard. In New York trifft die inzwischen erwachsene Maus Finn seine blonde kalte Maus Estelle wieder. Erwachsen? Sagen wir, älter, denn erwachsen wird er wohl nie werden. Und Paltrow? Die 25jährige („Sieben“, „Emma“), deren Mutter Blythe Danner als respektabler Durchschnitt galt, ist anders als diese keine Schauspielerin, sondern ein „It“-Girl, ein Fashion-Typus und Mediendarling der Stunde – zu früh durch die falsche Gelegenheit, den Film, ermutigt. Das Publikum muß es ausbaden. Vielleicht hat „Great Expectations“ in fünfzig Jahren als Trash eine Chance.

Nur Anne Bancroft ist schon jetzt, was diesen vor Dummheit strotzenden Unfilm anlangt, der Trostpreis für den Kinobesuch. Die kleine blonde Maus Estelle lebte nämlich bei Fräulein Dinsmoor (Bancroft), ihrer exzentrischen Tante, am Golf. Anne Bancrofts Gesicht leuchtet in all dem Grün, das Donna Karan als die Kostümbildnerin des Films zum Akzent ihrer Entwürfe machte, wie eine grandiose weiße Maske. Im prunkvoll besetzten, natürlich ozeangrünen Gewand tanzt die alte Dinsmoor durch ihr moderndes Herrenhaus, immer ein Champagnerglas bei der Hand. Nicht ohne Grund erwartet man überall Schlangen: um Säulen sich ringelnd, von Decken hängend oder um Bankcrofts Hals sich windend wie deren unzählige Perlenketten. Die organische Jugendstil-Symbolik für diesen üppigen Verfall ergibt sogar Sinn, doch der Wechsel in ein New York, das der Regisseur gern jazzy hätte, bricht dem Film vollends den Hals. Was „Great Expectations“ noch zusammenhalten könnte, ist das Dekor, und es versagt. Leer und lose baumeln die Requisiten. Regen, Lofts, Galerien – man kennt das. Eigentlich fehlt nur noch ein Saxophonist, der aus dem Loft in den Regen tutet und anschließend eine Vernissage besucht. Vielleicht trifft er dort ja ein Dickens-Double.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen