: Kleine Typologie des Rauchers
■ Erzählen, rauchen, wahrhaftig leben: Smoke von Wayne Wang und Paul Auster
Es wird – Gesundheitsfanatiker, kurz weggehört! – in Wayne Wangs und Paul Austers Film sehr gerne, sehr bewußt und auch sehr viel geraucht. Und es wird in Smoke gern und viel erzählt: Anekdoten, kleine Geschichten, auch Lügen. Wobei dann wiederum sehr viel geraucht wird. Nur am Schluß, als die große Abschlußgeschichte erzählt wird, da vergessen sowohl der Erzähler als auch der Zuhörer das Rauchen ganz gebannt für einen Moment.
Natürlich wird nicht nur geraucht und erzählt. Die Figuren dieses Films erleben auch Geschichten. Kleine, durch Zufälligkeiten miteinander verknüpfte Geschichten, wie sie im New Yorker Stadtteil Brooklyn, wo Smoke spielt, zum Alltag gehören mögen. Ein Zigarrenhändler verliert durch die Ungeschicklichkeit seines Angestellten seine aus Kuba geschmuggelten Zigarren. Sie sollten ihn zu einem kleinen Batzen Geld verhelfen. Ein Schriftsteller wird beinahe vom Auto überfahren. Ein Sohn findet seinen Vater wieder.
Nie verbinden sich diese Handlungsfragmente zur einen, zur zentralen Geschichte. Und nie wurde die so wenig vermißt wie hier. Smoke ist ein so wunderbar zurückgenommener, schöner Film mit vielen, vielen sehens- und erzählenswerten Einzelheiten. Und nebenbei ließe sich anhand seiner Hauptrollen eine kleine Typologie des Rauchers erstellen.
Da haben wir etwa den Ladenbesitzer Auggie Wren, gespielt von Harvey Keitel. Er raucht am meisten von allen, er muß es schon von Berufs wegen, schließlich verkauft er von Zigaretten bis zur Zigarre alles, was glimmt. Er raucht mit hastigen, gierigen Bewegungen, so als wolle er das Leben mit vollen Zügen einsaugen. Ganz anders der Schriftsteller Paul Benjamin, der in vielen Merkmalen als Alter Ego von Paul Auster gezeichnet ist. Ständig hat er eine von seinen Schimmelpennicks, Zigarillos, zwischen den Fingern, gerne läßt er sie aber auch beim Schreiben in irgendeinem Aschenbecher liegen, ein Achtlosraucher. Wieder anders Forest Whitacker als Automechaniker Cyrus Cole. Wenn er schon raucht, dann gleich dicke Zigarren. Eine der rührendsten Szenen dieses Films ist, wenn er Paul Benjamin ein wenig unbeholfen eine seiner Zigarren anbietet, nachdem sein Sohn ihn wiedergefunden hat: Daß manche Gefühle zu groß sind, um in Worte zu passen, ahnt man, während die beiden Männer linkisch ihre Glimmstangen in den Händen drehen.
Ein Film, nach dem man sich gerne wieder vorm Einschlafen Märchen erzählen würde. Wie absichtslos, so kommen die Bilder von Smoke daher. Aber natürlich ist gerade diese Absichtslosigkeit sehr ambitioniert, wenn auch nie aufdringlich. Wenn der Film Partei ergreift, dann gegen die Vorstellungen von einem cleanen, sauberen Leben. Und fürs Erzählen, für volle Aschenbecher und für ein wahrhaftiges Leben. Und für ein Kino, das die Einzelheiten und die Kleinigkeiten zu ihrem Recht kommen läßt. Dirk Knipphals
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