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Kleine Drachenliebe

Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Provisorien, Langeweiler taugen höchstens für den Übergang und das „Ende der Saison“ ist ein großer Film

von BIRGIT GLOMBITZA

Sie kann ein richtiger Drachen sein. Und sie hat nicht mehr viel Zeit. Doch bevor Waltraut (Hannelore Elsner) an Krebs stirbt, denkt sie keineswegs daran, auf ihre letzten Tage gefühlsselig zu werden und die ganze Welt zu umarmen. Mitleid schlägt ihr auf den Magen und gute Laune war ihr auch in Zeiten bester Gesundheit suspekt.

Wenn sie sich überhaupt noch an etwas klammert, dann an ihren eigenen Zynismus, und der ist bisweilen sehr unterhaltsam. Marius (Devid Stiesow), den blassen, verklemmten Freund ihrer 26-jährigen Tochter Klarissa (Anneke Kim Sarnau), lässt sie mit seinen ehrenwerten linken Weltrettungsprogrammen regelmäßig vor die Wand fahren. Wenn er einmal in seinem Leben etwas „Sinnvolles“ tun wolle, empfiehlt sie ihm, solle er lieber für einen anständigen Puff als für ein verlaustes Kulturzentrum auf die Straße gehen. Und ihrer Tochter rät sie, den „Langeweiler“ nur „für den Übergang zu nehmen“.

Klarissa, die sich fest vorgenommen hat, ihre Mutter bis zum Ende zu pflegen, pariert die Giftspritzen der Sterbenden mit einer klugen Mischung aus Gelassenheit und Ignoranz. Schließlich ist auch diese gallige Stimmung nur „für den Übergang“, wie überhaupt ihre ganzes Leben eine Aneinanderreihung von Provisorien zu sein scheint. Auch Klarissas Affäre mit Enno, der verkomplizierenderweise Waltrauts Freund ist, gibt nur etwas Vorläufiges. Bis Klarissa weiß, dass sie nichts von alledem mehr will.

„Ende der Saison“, der nach „Barracuda Dancing“ zweite Spielfilm von Stefan Krohmer, ist nicht zuletzt dank des wunderbar leichten Zusammenspiels von Anneke Kim Sarnau, Hannelore Elsner und Devid Stiesow ein kleiner, großer Film geworden. In ihm präsentiert sich das Leben als eine Aneinanderreihung von Vorübergehendem. Ganz unspektakulär und doch genauso konzentriert und liebevoll. Dabei erfährt man von den meisten Protagonisten weder Alter noch Beruf. Alles nebensächlich, alles nur temporär. Selbst die Bedeutung von Lüge und Betrug erscheint im Blick einer Sterbenden recht relativ.

Auch wenn der Film im Dogma-Stil mit springenden Brennweiten und wackelnder Handkamera anrückt, bleibt die Inszenierung in einer spannenden Schwebe aus respektvoller Distanz und intimen Einblicken. Die raue Optik steht weder im Dienste manieristischer Fingerübungen noch eines ungebremsten Experimentierwillens, sondern schlicht für die formelle Erwiderung des Provisorischen. Auch viele Passagen im Spiel selbst wirken wie improvisiert: Da fallen sich die Schauspieler schon mal ins Wort. Und wenn die üblichen Zickereien beim Abendessen zwischen Waltraut, Klarissa, Enno und Marius beginnen, braucht man eine Weile, bis man aus dem Gegrummel heraushören kann, wer überhaupt wen warum anblafft. Später bei den Theaterproben im umkämpften Kulturzentrum müffelt in all dem Palaver die ganze Anstrengung der 80er-Jahre-Politnik-Rhetorik durch, scharf beobachtet und liebevoll rekonstruiert. Dabei bleibt die Regie sorgfältig darauf bedacht, keine der Figuren zu diffamieren.

Stefan Krohmer, der bereits mit etlichen Auszeichnungen für den Regienachwuchs – vom Bayrischen bis zum Deutschen Fernsehpreis – behängt wurde, will sie alle nur in ihren Biotopen beobachten. Wie sie in ihrem Leben feststecken. Wie sie sich gegenseitig rupfen und wie sie sich die Kampfspuren wieder aus den Federn schütteln.

Und wenn Klarissa am Ende begreift, dass Ennos väterliche Vereinnahmungen auch nicht besser sind als Marius’ pubertäre Beleidigtheiten, besinnt sie sich endlich auf sich selbst. Sie weiß jetzt, wie das geht. Sie hat schließlich schon mal einen Drachen geliebt. (20.15 Uhr, ARD)

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