: Klatschmaul mit Frauenblick
Der Mann, der weiß, wie man deutschen Schlager wieder skandalfähig macht, heißt Mark Pittelkau und ist der Society-Reporter der „Bild“-Zeitung. Auch bei der Grand-Prix-Vorentscheidung in Kiel ist er beim Herziehen über die Stars vorne dabei
von JAN FEDDERSEN
Die Bild-Schlagzeile „Das Hotel der Intrigen“ lässt Johannes Kram, Promoter von Joy Fleming, den Kopf schütteln. Denn dass der Autor behauptet, das Kieler Hotel, in dem die meisten Grand-Prix-Beteiligten absteigen, sei eine Schlangengrube, das stimmt nicht. Nie zuvor war eine Grand-Prix-Woche so intrigenfrei und spannungsarm. Abends sitzen Ralph Siegel und die Cottbuser Punkrocker von SPN-X fraternisierend beim Bier zusammen; musizieren die Jungs von „Mundstuhl“ mit den Sakrosängern von den „Normal Generation?“.
Der Mann, der diese Geschichten wider besseres Wissen verfasst, heißt Mark Pittelkau, ist laut Kollegen 30 Jahre alt und will sich nicht porträtieren lassen. „Das Nein kommt von ganz oben“, sagt er. Dabei hat Pittelkau Ruhm verdient, denn er hat den deutschen Schlager wieder skandalfähig gemacht. Pittelkau, ein kleiner Mann, textil mal im schicken Anzug, mal im schreiend-roten T-Shirt präsent, kümmern Erwägungen wie Wahrheit oder Unwahrheit nicht – denn jede Story über einen aus der Welt des Scheins ist besser als keine. Überhaupt hat er dieses Genre wiederbelebt. Und er hat es in der Bild-Zeitung getan. Aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, zog es ihn nach der Wende in den Westen. Journalistische Erfahrungen hatte er keine, aber er konnte mit einer spektakulären Geschichte aufwarten: In Chile hatte er den exilierten und todkranken Erich Honecker aufgesucht – und seine Bekenntnisse als Serie 1993 in der Bild-Zeitung abdrucken können. Pittelkau verlegte sich schließlich auf das deutsche Unterhaltungsgewerbe, das „people business“. Er schrieb und förderte Leute, die vor der Wende selbst bei der Bild-Zeitung non grata waren: Sänger und Sängerinnen, die auf Deutsches, also auch Pittelkau Verständliches, hielten. Aber das ging natürlich nicht auf realistische Weise, denn das hätte geheißen, das Musikgeschäft als eines kalkulierender Repertoiremanager, relaxter Interpreten und aufgeregter Fans zu beschreiben. Pittelkaus Welt jedoch ist eine des Gothic, in ihr gibt es Böse und Gute, Gemeinheiten und Versöhnungen. Die Welt delektiert sich daran, weil man sich in einem Showbusiness ohne die Zutaten des Grusels nur langweilen würde. Und Langeweile ist die Todsünde jedes Mediums, die der Bild-Zeitung aber erst recht.
Pittelkau hat einen exzellenten Blick für das Wesentliche. Er neigt dazu, jeden Smalltalk abzubrechen, wenn nichts für ihn an Information herausspringt. Im Sessel pflegt er stets so zu sitzen, als müsse er gleich den Platz wechseln, die Beine angespannt wie ein Läufer vor dem Finale.
Im Gegensatz zu seiner Kollegin Katja Keßler – die sich mit Seite-1-Schlüpfrigkeiten lyrischer Klasse prominent schrieb – versteht sich Pittelkau auf den Frauenblick. Und den mögen die Bild-Leserinnen gerne. Pittelkau nimmt in Ehedramen die Position der Frau ein, legt Empörung nahe, wenn Klaus-Jürgen Wussow eine Dame als zu dürr und zu zickig beschreibt: Er ahnt, dass sich mit solchen O-Tönen viele Frauen jenseits der straffen Jahre identifizieren können.
Hier in Kiel stoppt ihn niemand. Nur Joy Fleming verwahrte sich dagegen, mit ihrem Sohn (den Pittelkau als schwul erkannte) im Hotelbett aufgenommen zu werden. Dass der Reporter sie dennoch in einen Intrigenreigen mit aufnahm, könnte ihm Ärger einbringen. Am Ende wird die Einsicht siegen: Ohne einen wie ihn wäre alles nur ein Event ohne Schaumkrone – und das hasst die Musikindustrie wie eine rote Zahl in der Jahresbilanz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen