: Kirchhohe Aktenberge
■ Hermann Kuhn, Vorsitzender des Vulkan-Untersuchungsausschusses, über das Bremer Sommerprogramm im Vulkan-Skandal
Im Herbst soll es spannend werden im Vulkan-Untersuchungsausschuß. Dann nämlich, so waren die ersten Planungen, soll die Vernehmung der ZeugInnen stattfinden. Ob es dazu kommt, ist allerdings noch ziemlich fraglich. Das AfB-Ausschußmitglied Ludwig Hettling meinte in der letzten Woche, angesichts der überwältigenden Menge von Akten sei der Zeitplan gar nicht einzuhalten. Wir sprachen mit dem Ausschußvorsitzenden, dem Grünen Abgeordneten Hermann Kuhn, über den Stand der Dinge, den Untersuchungsauftrag und das Programm des Ausschusses, wenn die restliche Stadt in den Urlaub gefahren ist.
taz: Hat der Untersuchungsausschuß denn mittlerweile die berühmte „Handakte Wedemeier“ vorliegen? Die soll ja verschwunden sein – oder gewesen sein.
Hermann Kuhn, Grünen-Abgeordneter und Vorsitzender des Vulkan-Untersuchungsausschusses: Der Untersuchungsausschuß hat ungefähr 150 Aktenordner vom Senat bekommen, eine Reihe von Akten sind uns noch vom Wirtschafts- und vom Arbeitssenator avisiert worden. Ich gehe davon aus, daß wir dann alle einschlägigen Akten haben.
Gab es denn nun Ärger um eine Akte, um eben diese Akte? Es geistert doch ein Mythos von dieser Akte durch die Stadt, in der angeblich brisante Dinge enthalten sind, die dem Ausschuß vorenthalten worden sind.
Es hat keinen Ärger um eine Akte gegeben, die verschwunden gewesen wäre. Der sachliche Hintergrund dieses Gespenstes „Handakte“ kann nur sein: Es hat eine Zusammenstellung von Klaus Wedemeier für seinen Nachfolger Henning Scherf gegeben. Wir gehen davon aus, daß wir auch diese Akte inzwischen haben.
Daß der Ausschuß die Akten des Senats bekommt, war nie strittig. Es gab aber die spannende Frage, ob er an die Akten des Vulkan rankommt. Immerhin ist das ein Privatunternehmen. Gab es da Probleme?
Das immer sogenannte „privatwirtschaftliche Unternehmen“ muß man schon mit einem Fragezeichen versehen. Vielleicht nicht der Einfluß der öffentlichen Hand, aber die finanziellen Hilfen der öffentlichen Hand waren so groß, daß man von einer gemischten Veranstaltung reden muß. Wir haben die Rechtslage so gesehen, daß wir auf jeden Fall Zugriff auf diese Akten haben. Es hat aber auch keine Auseinandersetzung gegeben, weil der Konkursverwalter sehr kooperativ gewesen ist.
Sie haben mit ihm gesprochen.
Ja, und da haben wir vereinbart, daß wir die einschlägigen Akten sehen können. Allerdings unter Gewährleistung eins besonderen Vertrauensschutzes. Der ist selbstverständlich, weil in diesen Akten natürlich auch Daten Dritter, Unbeteiligter drinstehen. Und die müssen geschützt werden.
Was sind das für „Dritte“?
Das sind Verhandlungs- und Geschäftspartner des Bremer Vulkan, die mit dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand nichts zu tun haben, die aber natürlich beim Aktenstudium auftauchen. Das ist anders als bei den Senatsakten, die man in der Regel ohne weiteres verwenden kann.
Wir hatten mit Wellensiek eine Verabredung getroffen – in dem Moment kam allerdings die Aktion des Bundeskriminalamtes. Nun sind die Akten, die wir eigentlich haben wollten, sichergestellt.
Was heißt das?
Ein Teil ist nicht mehr beim Bremer Vulkan, sondern teilweise in Wiesbaden, teilweise bei der Staatsanwaltschaft in Bremen. Wir haben noch keine Übersicht darüber, welche Akten das sind. Die anderen sind im Vulkan geblieben und dort sichergestellt. Und diese Akten können wir nun einsehen und prüfen. Das sind nochmal 200.
Wie läuft diese Durchsicht ab?
Um es überspitzt auszudrücken: Die Abgeordneten sind im Urlaub, und die Ausschußassistenten arbeiten. Jede Fraktion nimmt jeden Aktenordner einmal in die Hand, vermerkt, welche Seiten daraus kopiert werden sollen, und das geht dann allen Ausschußmitgliedern zu. Damit sind dann alle auf dem gleichen Stand.
Können Sie schon absehen, wie hoch der Stapel sein wird, durch den sich der Ausschuß arbeiten muß?
Wir sitzen hier so nett gegenüber der Martinikirche. Ich fürchte, übereinandergelegt würden wir den Dachfirst erreichen. Ich will nicht übertreiben und Turmspitze sagen, aber der First könnte es schon sein.
Die Akten stehen beim Vulkan?
Die stehen beim Vulkan, bis auf die, die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden sind. Die Akten des Senats stehen in der Bürgerschaft. Beide sind durch ein Zugangssystem gesichert.
Zerberusse vor der Tür?
Besondere Schlüssel. Beim Vulkan ist es so, daß die jetzt noch Bediensteten keinen Zutritt haben.
Es gab ja die Planung, direkt nach der Sommerpause mit den Vernehmungen zu beginnen. Nun sagt Ludwig Hettling von der AfB, angesichts der Aktenmenge könnte man sich das wohl abschminken. Wie sieht denn nun der Zeitplan aus?
Der Plan sieht so aus: Wenn die Mehrzahl der Akten gesichtet ist, dann werden die Abgeordneten wieder da sein. Dann werden alle das Material durchsehen können, dann können Themenkomplexe gebildet werden. Und möglicherweise sind wir Ende August soweit, daß wir im September schon einige Leute vernehmen können. Es wird aber angesichts der Menge des Materials eine schwere Aufgabe werden.
Der Ausschuß ist ja auf zwei Jahre angelegt. Waren Sie eher erschrocken über die Menge oder haben Sie sich das so vorgestellt?
Die Wirklichkeit übertrifft immer die Vorstellungen. Zumal es das besondere Problem gibt, daß wir an einer Schnittstelle untersuchen: zwischen der Frage, wie das mit dem Vulkan passieren konnte, und der anderen, welche Verantwortung daran die Politik trägt. Da wird es immer die Versuchung geben, von der einen in die andere Frage auszuweichen. Wie der Zusammenbruch des Vulkan passieren konnte – diese Frage werden wir nicht abschließend beantworten können.
Warum?
Das ist nicht unser Auftrag. Was wir klären sollen, ist, wieso die Kontrollmechanismen der politischen Seite, die ja erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt hat, so versagt haben. Es geht um die Untersuchung der gegenseitigen Einflußnahme, um die Klärung, warum die Fakten so spät ans Licht kamen und warum Senat und Bürgerschaft ihre Kontrollaufgabe nicht ausreichend wahrgenommen haben.
Wie weit geht der Ausschuß in die Geschichte zurück? Wie weit reichen denn beispielsweise die Akten des Senats?
Die reichen sogar bis vor die Gründung des Bremer Werftenverbundes 1987 zurück. Der Gedanke ist, daß die AG Weser-Pleite 1983 der Ausgangspunkt für die Planungen war, wie der Werftenstandort Bremen gehalten werden kann. Dann gibt es das Stichdatum: die Gründung des Werftenverbundes, der Eintritt von Hennemann 1987. Aber sicher wird es einen Schwerpunkt auf den Ereignissen des letzten Jahres geben. Fragen: J.G.
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