■ Standbild: Kirchenfunk
„König der letzten Tage“, Teil 1, Mi., 20.15 Uhr, ZDF
„Erbeaneignung“ hieß in der DDR-Spätzeit der Versuch, Geschichte nicht mehr zu entsorgen, sondern zum eigenen Nutzen und Frommen auszubeuten. Nun findet derlei – natürlich unter umgekehrten Vorzeichen – auch im Fernsehen statt. Warum sonst sollte das ZDF in seiner 16 Millionen- Mark-Produktion ausgerechnet eine der ersten Revolutionen auf deutschem Boden nachstellen wollen? Der Zweiteiler „König der letzten Tage“ will die Geschichte der „Wiedertäufer“ nacherzählen, einer christlichen Erweckungsbewegung, die zwei Jahre lang, zwischen 1534 und 1536, das Abendland erschütterte. Die Lektion: Wer Gütergemeinschaft und freie Liebe predigt – damals hieß die reine Lehre Katholizismus –, kann nur ein gefährlicher, demagogischer Spinner sein.
Zielsicher hatte man den ersten Teil auf den Abend des Buß- und Bettags plaziert. Gebetet wurde auf der Mattscheibe, büßen mußten das die Zuschauer. Das Produkt verstrahlte trotz des schönen Etats jenen provinziellen Charme deutscher Vorabendserien: Das Pappmaché knarzte, Regisseur Tom Toelle choreographierte die Massen- und Schlachtszenen im Stile der Elsper Karl-May- Festspiele, das Skript vereinte kongenial Konfusion und Klischeesucht.
Die Titelfigur, den kurz vor Halbzeit gekrönten Propheten Jan van Leyden, muß ausgerechnet Christoph Waltz spielen, dessen ekstatisches Augenfunkeln Münsters Volk genauso verzückt wie sein pietistisches Schwäbeln. Charo Lopez als Divara, seine Königin, darf ihre Beischlafbereitschaft zum Ausdruck bringen, indem sie lüstern mit dem Zeigefinger im Mundwinkel hantiert. Selbst ein Mario Adorf muß hier unter seinen Möglichkeiten bleiben. Zwar gönnt ihm, dem bösen Bischof, das recht orgasmuslastige Drehbuch zu Anfang ein privates Intermezzo, doch dann darf er nur noch Politik machen.
Natürlich ist eine solche Gebührenverschwendung eigentlich ein Fall für den Bundesrechnungshof. Aber unter politisch- bewußtseinsmäßigen Vorzeichen sollte man sich beinahe freuen, daß einmal mehr das Propagandakalkül der Herren des Lerchenbergs vom in vielen Schlachten erprobten Dilettantismus der hiesigen Fernsehfilmbranche durchkreuzt worden ist. Wer sich überzeugen will: Der zweite Teil läuft am Sonntag um 19.30 Uhr. Natürlich im Zweiten. Stefan Walter
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