: Kirche macht sich ihre Gesetze selbst -betr.: "Diakonissen im Clinch", taz v. 29.7.94
Betr.: „Diakonissen im Clinch“, taz v. 29.7.
Ich freue mich, daß Sie sich mit diesem Artikel des kirchlichen MitarbeiterInnen- Vertretungsrechte angenommen haben. Allerdings kommt hierin meiner Meinung nach der Kern der Problematik nicht deutlich genug zur Sprache.
Das zeigt sich schon in der Überschrift. In Friedehorst, der Einrichtung, in der ich tä- tig bin und seit 7 Jahren die Interessen der Beschäftigten vertrete, sind keine Dia- konissen tätig. Für die Arbeit in unserem Altenpflegeheim, Behindertenheim, Berufs- förderungswerk und Neurologischen Rehabilitationszentrnm werden ausschließlich normale Arbeitsverhältnisse abgeschlossen. Eine besondere Beziehung zur Kirche, wie bei den Mitgliedern der Diakonissen-Schwesternschaft, ist hier nicht vorhanden.
Hinsichtlich der Finanzierung unterscheidet sich Friedehorst nicht von Einrichtungen in privater oder öffentlicher Trägerschaft. Durch Verträge mit dem Sozialressort, dem Arbeitsamt und den Krankenkassen werden nach den allgemein geltenden Bestimmungen öffentliche Aufgaben übernommen. In den entsprechenden Versorgungsverträgen ist meines Wissens nicht der Auftrag zur Glaubensverkündigung oder gar zur Missionierung der Menschen enthalten, die bei uns gepflegt, betreut, ausgebildet, medizinisch und beruflich rehabiltiert werden.
Auch eine besondere religiöse Prägung der Arbeit können meine KollegInnen und ich so gut wie nicht feststellen. Die Einrichtung formuliert in ihrer Satzung zwar christliche Ansprüche. Doch werden diese kaum gelebt. Friedehorst kann sich offenbar nur auf Grund der Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der Ausgestaltung des Arbeitsrechts einer Anwendung der allgemein im Wirtschaftsleben üblichen Spielregeln und Gesetze entziehen. Die Arbeitsbedingungen werden demzufolge nicht durch Absohluß von Tarifverträgen mit den Gewerkschaften verbindlich festgelegt, sondern auf Grundlage von Empfehlungen einer Arbeitsrechtlichen Kommission im Diakonischen Werk ohne ausreichenden kollektiwechtlichen Schutz einzelvertraglich vereinbart. Wer unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen hier am längeren Hebel sitzt, liegt auf der Hand.
Noch deutlicher wird die fest uneingeschränkte Vormachtstellung der Arbeitgeberseite am Mitarbeiterlnnen-Vertretungsrecht. So maßen sich die Einrichtungen das Recht zur einseitigen Entscheidung über die Anwendung von Gesetzen oder zur Schaffung eigener „Gesetze“ an. Im Klartext: der Arbeitgeber bestimmt selber das Recht, mit dem die Arbeitnehmerlnnen ihre Interessen ihnen gegenüber vertreten dürfen. Was dabei herauskommt, kann man sich ausmalen.
Die Privilegierung der Arbeitgeber durch das kirchliche Sonderrecht zeigt sich zusätzlich an der eingeschränkten Durchsetzbarkeit der im Wortlaut zum Teil durchaus wohlklingenden Beteiligungsrechte. Zuständig bei Streitigkeiten sind nicht die normalen Arbeitsgerichte, sondern innerkirchliche Schieds- oder Schlichtungstellen, die ehrenamtlich besetzt sind und keine mit ordentlichen Gerichten auch nur annähernd vergleichbaren Arbeitsbedingungen haben. Die Vorsitzenden müssen nicht einmal Arbeitsrichter sein. Von den drei in Bremen eingesetzten ist es nur einer. Die Verhandlungen sind nicht Öffentlich. Entscheidungen sind nicht erzwingbar. Ob sich die Arbeitgeber daran halten oder nicht, bleibt folgenlos.
Die Folge ist, daß Verfahren sich unzumutbar lange hinziehen und Entscheidungen immer wieder aufgeschoben werden. Wir haben uns in einem Schreiben an den Kirchenausschuß hierüber beschwert, da wir diese Situation zunehmend als faktische Rechteverweigerung empfinden.
Um die patriarchalischen Vormachtstellung der diakonischen Arbeitgeber geht es im gegenwärtigen Konflikt. Ich meine, wer mit öffentlichen Mitteln öffentliche Aufgaben übernimmt, muß auch das allgemeine Recht anerkennen und sich der staatlichen Rechtsprechung unterwerfen. Und mit dieser Meinung verstoße ich auch nicht gegen die Verpflichtung, als Mitarbeiterinnen-Vertreter Verständnis für den diakonischen Auftrag und die Belange meiner Einrichtung zu wecken. Protestantismus meint doch wohl einen ständigen Prozeß der Selbsterneuerung. Die Kritik an den Zumutungen, denen wir als Arbeitnehmerlnnen in Einrichtungen, die der Kirche gehören, ausgesetzt sind, soll auch als Beitrag verstanden werden, die Glaubwürdig- keit der Kirche nach innen zu erhalten. Klaus Deutschmann,
MitarbeiterInnen-
Vertretung Friedehorst
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