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Kirche, Autos und ein grünes Wunder

■ Verkehrspolitik und Wohnungspolitik: Eine Vielzahl von Inis versucht, das Thema Stadtpolitik auf den Kirchentag zu bringen

Politik in die Kirche tragen, den Kirchentag für die Stadtpolitik nutzen – mit diesem doppelten Motiv haben eine Vielzahl von Gruppen und Institutionen in den letzten Monaten „ihr“ Thema auf dem Kirchentag unterzubringen versucht. Mit unterschiedlichem Erfolg: Während beispielsweise die Verkehrsinitiativen eine herbe Abfuhr erlebten, konnten die KämpferInnen für billigen und menschengerechten Wohnraum jubeln. Das Zentrum für Armut und Wohnen in der Frohbotschaftskirche Dulsberg erfreut sich nicht nur kirchlichen Segens, sondern auch eines zugkräftigen Gaststars: Bundesbauminister Klaus Töpfer kommt.

Die Verkehrsinis konterten auf ihre Art: Mit grünen Plakaten, die das Autobahnschild des offiziellen Kirchentags lustvoll uminterpretieren, einer Aktion „grüner Schnürsenkel“ und einem großangelegten Aktionstag „Mobil ohne Auto“ zum Abschluß des Kirchentags am Samstag werden sie ihr Anliegen am Ende wohl deutlicher eingebracht haben, als dies eine offizielle Kirchentagsveranstaltung vermocht hätte. Ziel der Inis: Die Kirchentagsgäste sollen ihr „grünes Wunder“ erleben.

Spielplätze statt Parkplätze? Als Heinrich Vokkert, immerhin Umweltbeauftragter der EKD, der Amtskirche den Vorschlag unterbreitete, Parkplätze vor Kirchen in Kinderspielplätze zu verwandeln, stieß er auf entsetztes Kopfschütteln. Nein, ihr Verhältnis zur automobilen Gesellschaft hat die Kirche noch nicht problematisiert.

Diese Erfahrung mußte auch ein Bündnis von mehr als 30 Initiativen, Verbänden, und Unternehmen machen, die sich auf Initiative des Pastors Michael Stahl bereits im Frühjahr 1994 zum „Arbeitskreis Verkehr für den Kirchentag“ zusammengeschlossen haben. Brav entwickelte der Arbeitskreis ein eigenes Konzept für den Kirchentag: Das Verkehrsforum „Entschleunigung“ wollte Themen wie Autosucht, autofreie Kirche, autoarme Gemeinde, Bewahrung der Schöpfung, Mensch statt Automobilität in den Mittelpunkt stellen. Das Konzept wurde im Sommer 1994 von den Kirchentagskoordinatoren ohne Begründung abgelehnt.

Der Frust der Inis wandelte sich in fruchtbare Empörung, als das blaue Autobahnschild mit dem in diesem Zusammenhang besonders zweideutigen Motto „Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ zum offiziellen Marketingsymbol des Kirchentags geadelt wurde. Erschrocken räumte die Amtskirche jetzt zumindest ein „Ökologisches Abendgespräch“ ein (heute abend in den Messehallen). Der Schwung des Bündnisses war allerdings nicht mehr zu bremsen.

Doch auch der Kirche selbst, so meint Almuth Schauber, stände eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Auto gut zu Gesicht. Almuth Schauber, Mitglied der Strese-Ini und Sprecherin des Arbeitskreises Verkehr: „Es geht da auch um ganz praktische Dinge. Fahrradabstellplätze vor Kirchen, die Anbindung von Kirchen ans öffentliche Verkehrsnetz – zum Beispiel sonntags auf dem Land – oder eben die Umwandlung von Parkplätzen bei den Kirchen.“

Sensibler sind die Kirchenantennen dagegen für die Probleme Armut und Wohnungsnot, seit jeher Themen kirchlicher Dienstleistungspraxis. Die rührige Armutscrew um den Dulsberger Pastor Martin Körber bemüht sich allerdings mit hohem persönlichen Einsatz, Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe und Wohnungspolitik von unten zu thematisieren.

Der Tag „Armut und Wohnen“ morgen von 11 bis 17 Uhr in der Frohbotschaftskirche Dulsberg nimmt sich ganz gezielt die Krise der herkömmlichen Politik des Sozialen Wohnungsbaus zur Brust (vormittags), um anschließend Alternativen und Wege von unten aufzuzeigen. Adressat ist die Hamburger Stadtpolitik, insbesondere die Baubehörde: Die hat es bislang trotz Einladung nicht einmal geschafft, sich konstruktiv in den Dulsberger Dialog einzuklinken.

Florian Marten

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