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Kinkel läßt Kowaljow abblitzen

■ Deutscher Außenminister streitet mit russischem Menschenrechtler über Krieg in Tschetschenien

Bonn (taz/dpa/rtr/AP) — Mit seiner sanft vorgetragenen, doch in der Sache extrem harten Kritik an der deutschen Haltung zum russischen Krieg in Tschetschenien hat der russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow gestern in Bonn Ärger hervorgerufen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kowaljow griff Bundesaußenminister Klaus Kinkel seinen Gesprächspartner äußerst undiplomatisch und scharf an: Er könne Kowaljows Vorwürfe nicht hinnehmen, sagte er; die Bundesregierung habe sich immer „klar und deutlich“ zu den russischen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien geäußert, und „natürlich“ sei der Tschetschenien-Krieg eine innere Angelegenheit Rußlands. Bei seiner Ankunft in Bonn hatte Kowaljow die deutsche Haltung als „äußerst schwach“ kritisiert.

Der Westen müsse erst noch lernen, in einer Sprache zu reden, die der Kreml verstehe, sagte Kowaljow gestern; den Tschetschenien-Krieg als interne Angelegenheit Rußlands zu bezeichnen, werde im Kreml eher als Kompliment verstanden. Seine gegenüber Kinkel geäußerte Meinung faßte Kowaljow so zusammen: „Wenn Sie von einem Taschendieb bestohlen werden, sagen Sie ihm ja auch nicht: Das ist eben Ihr Standpunkt.“

„Kowaljow erlebte die alte deutsche Angst, am russischen Bären zu kratzen“, resümierte SPD-Außenpolitiker Freimut Duve. Auch in anderer Weise sorgte Kowaljows Besuch in Bonn für Mißtöne: Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag verlangte von SPD-Chef Rudolf Scharping eine Entschuldigung für seine „infame“ Behauptung, Bundeskanzler Helmut Kohl habe sich vor einem Treffen mit Kowaljow gedrückt. Dieser war am Vortag von Kanzleramtsminister Friedrich Bohl empfangen worden, während Kohl eine Bundestagsdebatte verfolgte. SPD-Geschäftsführer Günter Verheugen sagte daraufhin, Kohl habe wohl ein „schlechtes Gewissen“. Die Bundesregierung begebe sich „in die Nähe der Komplizenschaft“ mit Moskau. Die SPD-Fraktion reichte im Bundestag eine kleine Anfrage ein, in der sie von der Bundesregierung Auskunft über Datum und Art ihrer ersten Information über den Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien verlangte.

Der Krieg weitete sich unterdessen von der tschetschenischen Hauptstadt Grosny auf die Dörfer und die Grenze nach Inguschetien aus. Tschetschenische Flüchtlinge, die sich in die benachbarte autonome Republik Inguschien retteten, berichteten, die russischen Truppen hätten zahlreiche Dörfer in Brand geschossen und zerstört. Nach Angaben eines inguschischen Beamten beschossen die russischen Streitkräfte auch einen inguschischen Grenzort. „Das ist ein echter Guerillakrieg. Der wird noch lange dauern“, sagten Soldaten des russischen Innenministeriums, die vor dem Ort Samschky südlich von Grosny Position bezogen hatten. Die tschetschenischen Kämpfer waren am Vortag weitgehend aus Grosny abgezogen, um ihre Heimatdörfer zu verteidigen. Der russische Präsident Boris Jelzin entließ unterdessen zwei hohe Generäle, die den Krieg kritisiert hatten, von ihren Posten als Vize-Verteidigungsminister und bezeichnete die Lage in Tschetschenien als „normal“. D.J. Seite 5

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