Kinderschutz bei der Bundeswehr: Waffen bleiben Spielzeug
Kinder sind von Waffen fasziniert. Das nutzt die Bundeswehr und lässt die Kleinen auf Panzern turnen. Dafür gibt es nun eine neue Vorschrift.
KASSEL taz | Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte beim Kinderhilfswerk terre des hommes, ist sauer. Noch vor kurzer Zeit hat er das Verteidigungsministerium für eine 2007er Vorschrift gelobt, wonach die Bundeswehr Kinder bei Werbeveranstaltungen nicht an Waffen lassen darf. Bis zum Alter von 18 Jahren darf demnach niemand Zugang zu Handfeuerwaffen oder Munition erhalten. "Für ausgestellte Waffensysteme", so die Vorschrift, "gilt dies adäquat".
Doch im Januar 2011 wurde dies geändert: Als "Waffen" gelten nun nur noch Schusswaffen und Vergleichbares. "Schiffe, Flugzeuge sowie nicht-handelsübliche Fahrzeuge der Bundeswehr sind keine [Hervorhebung im Original] Waffensysteme im Sinne des Waffengesetzes." Kinder dürfen bei den Werbeveranstaltungen der Armee also kein Gewehr in die Hand nehmen, aber sich in einen Leopard 2-Kampfpanzer oder einen Eurofighter-Kampfjet setzen.
"Der Bundeswehr sind ihre eigenen Ziele wichtiger als der Kindesschutz", kritisiert Ralf Willinger diese Änderung. Sie stehe offenbar im Zusammenhang mit dem Ende der Wehrpflicht: "Die kindliche Faszination für Technik und Waffen soll weiter ausgenutzt werden, um die eigenen Rekrutierungsziele zu erreichen." Das Verteidigungsministerium bleibt auf Nachfrage wortkarg: "Die Änderung des entsprechenden Erlasses erfolgte zur Klarstellung", so ein Sprecher. Willkürlich oder zweifelhaft findet er die Unterscheidung zwischen Pistole und Panzer nicht.
Die Bundeswehr hat bereits häufig gegen die alte wie auch die neue Vorschrift verstoßen. Kaum eine Werbeveranstaltung der Armee, bei der Kinder nicht Waffen anfassen dürfen. Zum bundesweiten Skandal kam es erst im Mai 2011. Bei einem Tag der offenen Tür der "Gebirgsjägerbrigade 23" in Bad Reichenhall konnten Kinder und Erwachsene mit Handfeuerwaffen hantieren. Kinder zielten auf ein Miniaturdorf.
"Werbeveranstaltungen nicht vertretbar"
Konsequenzen hatte der Vorfall nicht. Es sei in Bad Reichenhall zwar zu "dienstlichem Fehlverhalten" einzelner Soldaten gekommen, die Disziplinarverfahren seien aber "nicht beabsichtigt", so das Verteidigungsministerium. Das Fehlverhalten resultierte laut Ministerium aus "Überforderung" der Soldaten, von der im verfügbaren Bild- und Videomaterial von dem Tag freilich nichts zu erkennen ist.
Doch Kinderrechtler haben beschlossen, die Werbepraxis der Bundeswehr weiterhin zu skandalisieren. Der "Schattenbericht Kindersoldaten" von terre des hommes, Kindernothilfe, missio-Deutschland und der deutschen UNICEF-Sektion hält insbesondere die Rekrutierung unter 18-Jähriger und die einseitigen Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen für unvertretbar.
So treten jedes Jahr hunderte 17-Jährige in die Bundeswehr ein und werden militärisch ausgebildet. Jugendoffiziere und Wehrdienstberater erreichen jährlich hunderttausende Schülerinnen und Schüler. Die unterzeichenden Organisationen sehen dadurch die von Deutschland unterschriebene UN-Kinderrechtskonvention verletzt.
Lothar Krappmann, der von 2003 bis zum Februar 2011 als unabhängiger Experte Mitglied im UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes war, sieht gute Chancen dafür, dass sich der Ausschuss den deutschen Kinderrechtlern anschließt: "Wie schon 2008 wird der Ausschuss sicher unserer Regierung empfehlen, keine Unter-18-Jährigen ins Militär aufzunehmen."
Linke fordert Änderung der Waffenvorschrift
Auf die Armee-Werbung an Schulen werde der Ausschuss eingehen, wenn er den Eindruck gewinne, dass die Werbung die Freiwilligkeit der Entscheidung der jungen Leute bei der Berufswahl beeinträchtige: "Die Regierung wird sich sicherlich bemühen, diesen Eindruck zu widerlegen", so Krappmann. Eine offizielle Empfehlung an die Bundesrepublik wird aber erst für 2013 erwartet.
So lange wollen terre des hommes und auch die Linken im Bundestag jedoch nicht warten. "Die Unverfrorenheit, mit der die Bundeswehr Minderjährige zu manipulieren versucht, ist schier atemberaubend", empört sich Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Wie terre des hommes drängt sie darauf, die Waffen-Vorschrift für die Bundeswehr schnellstmöglich zu ändern. Panzer seien keine Spielzeuge und es sei fatal, wenn Kindern Krieg als eine spaßige Angelegenheit präsentiert werde.
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