: Kinderkriegen ist Männersache
■ § 218: Plädoyer für die ganz große Koalition in der Kinderfrage
AUFRUF
Die Frage, ob der Paragraph 218 bei uns Bestand haben wird oder ob er möglicherweise der DDR-Fristenlösung weichen muß, wühlt die schon fest geglaubten Regelungen und Kompromisse unter ihren Befürwortern und Gegnern gründlich wieder auf. Frau Süssmuths Vorschlag, der deutlich von der geltenden Regelung abweicht, der eine Fristenlösung - wenn auch mit Beratungspflicht - verlangt, zeigt zuerst, wie unzufrieden die CDU-Frauen mit der Politik ihrer Männer sind und wie sehr diese Frage sie umtreibt. Mit der geplanten Übergangsregelung, die vorerst für einige Jahre, zumindest aber so lange gelten soll, bis das gesamtdeutsche Parlament eine neue Regelung beschließt, geht der Kampf um die Abschaffung des § 218 neu los.
Wie die politischen Kräfteverhältnisse in der zukünftigen Republik auch sein werden: das Parlament wird sich letztlich irgendwo zwischen einer Fristenlösung und der Fortgeltung des jetzigen Paragraphen 218 zu entscheiden haben. Würden alle Frauen in einer Urabstimmung darüber entscheiden, gäbe es ohne Zweifel überwältigende Mehrheiten für die Fristenlösung.
Es sind aber in allen Parteien und gesellschaftlichen Feldern die Männer, die mit dem § 218 auch ein Stück ihrer Macht über die Frauen festhalten wollen. Weil wir Männer über die Frauen mitentscheiden, sind wir auch mit dafür verantwortlich, welche Regelung am Ende beschlossen wird. Ich schlage deshalb vor, die Frage des § 218 in Zukunft zu einer Männerfrage zu erklären.
In der Frage des Paragraphen 218 bin ich jedenfalls nicht bereit, meine eigene Haltung durch knappe Mehrheitsentscheidungen auf Parteitagen festlegen zu lassen. Diese Frage ist für mich viel zu stark emotional, religiös, vom sozialen Umfeld und von politischen Zusammenhängen bestimmt, als daß einfache Mehrheiten die Fragen, die damit für jede einzelne Frau und jeden einzelnen Mann verknüpft sind, lösen könnten. Auch bei uns Grünen ist der Konflikt zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung der Frau und dem Schutz des werdenden Lebens nie endgültig entschieden worden - und er kann in diesem Rahmen auch nicht entschieden werden.
Für mich kommt es darauf an, eine politisch mehrheitsfähige Lösung in dieser Frage anzusteuern, die möglichst viele Frauen und Männer in ihrem Alltagsleben mitzutragen bereit sind, ohne sich dabei mit Schuldgefühlen, Tabu- und Regelverletzungen auseinandersetzen zu müssen. Eine solche Lösung ist die Fristenlösung.
Ich respektiere jede und jeden, die für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frau eintreten. Aber das ist reine Lehre, ist selbstisolierter Absolutheitsanspruch.
Wenn diese Position zur Orientierung, zum Leitbild für die Position der Opposition im Kampf um den § 218 in den nächsten Jahren wird, dann besteht allerdings die Gefahr, daß die mögliche - und nötige - breite Mehrheit für eine Fristenlösung gar nicht erst zustande kommt und die konservativen Männer deshalb am Ende die Fortgeltung des jetzigen § 218 erzwingen werden.
Insofern werde ich Rita Süssmuth in der Intention ihrer Initiative unterstützen, auch wenn ich die Zwangsberatung ablehne. Ich erinnere aber daran, daß Frau Süssmuth ihre Position nur vertreten kann, weil die Frauenbewegung und auch wir Grünen den politischen Raum dafür geschaffen haben.
Wenn aber in der Bundesrepublik die Selbstbestimmung der Frauen vorankommen soll, müssen politische Mehrheiten gesucht werden, die einen erneuten Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht nicht scheuen, die vielleicht sogar stark genug sind, dieses Selbstbestimmungsrecht der Frauen ins Grundgesetz aufzunehmen - und zwar mit Verfassungsrang. Eine solche Mehrheit können Frauen allein nicht zustande bringen; die wird es nur geben, wenn wir Männer intensiv dafür eintreten.
Auf einem Treffen der Grünen und anderer Männer - bewußt ohne die feministischen Spezialistinnen - soll beraten werden, wie wir aus der Falle von männlichem Opportunismus und geheuchelter Unterstützung für die Frauen heraus finden und wir selbst unter den Männern für die Fristenreglung werben. Zur Debatte steht, warum und wie die Männer - auch mit dem Paragraphen 218 - Sexualität definieren, Frauen in ihrer Freizügigkeit einschränken und sie so zu binden suchen.
Ich fordere den Bundesvorstand der Grünen auf, umgehend mit den Vorbereitungen für ein Treffen im Herbst zu beginnen, damit wir diese Fragen - mit Männern anderer Parteien und gesellschaftlicher Organisationen! - diskutieren.
Willi Hoss
Der Autor ist Mitglied des Bundestages und Sprecher der Fraktion Die Grünen.
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