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Kinder vor der Tür: Erzieherinnen im Streik

■ Aufbruchstimmung im Zweifrontenkrieg gegen Tarifverband und Senat / Auch Kirchen-Kitas zu

In den 72 städtischen Kindertagestätten (KTH) war heute nichts los — um so mehr aber davor. 8:30 Uhr, KTH-Bismarkstraße: Frierend, aber gut gelaunt, stehen gut ein dutzend ErzieherInnen seit sieben Uhr vor der Tür, die sie mit Luftballons und Transparenten („Mehr — für Kinder und Erzieherinnen“, „Wir lassen uns nicht kaputtorganisieren“) dekoriert haben. Vor dem kleinen KTH Fehrfeld stehen etwas verloren zwei Erzieherinnen und ein Mitarbeiter: „Bis jetzt haben wir uns immer wegen der Kinder erpressen lassen. Die Behörde hat sich darauf verlassen, daß wir schon weitermachen, wenn da ein Kind mit Problemen steht. Aber irgendwann ist mal Schluß“.

Bis zehn Uhr blieben die Türen in dem von der ÖTV organisierten Warnstreik dicht. Aktueller Anlaß für die Aktionen sind die Dienstag in Münster angelaufenen Tarifverhandlungen, wo es im wesentlichen um eine höhere Eingruppierung und bessere Aufstiegsmöglichkeiten für ErzieherInnen und SozialpädagogInnen geht. Die Bremer ErzieherInnen haben gleich doppelten Grund zum Streik: Sie wollen die vom Senat am 13. November beschlossene Absage an qualifizierte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen bis 1995 nicht einfach schlucken.

Auch 35 der 41 Einrichtungen der evangelischen Kirche schlossen sich dem Streik gestern an, trotz vorheriger Drohung ihres Arbeitgebers mit Abmahnungen. Die Eltern waren meist einige Tage vorher informiert worden und hatten untereinander Notdienste organisiert, teilweise hängten sie selbst Schlösser vor die Türen der Kindergärten, beteiligten sich an dem Streik oder versorgten die Streikenden mit Kaffee und Kuchen. An der KTH- Brookstraße gab es allerdings Zoff, als berufstätige Eltern mit ihren Kindern wieder abziehen mußten. In Bremen-Nord wanderten Eltern mit etwa 80 Kindern ins Sozialverwaltungsamt. In Tenever demonstrierten Eltern und Erzieherinnen gemeinsam. Aufbruchstimmung.

Stapelweise gingen Solidaritätsadressen von Eltern, Betriebs- und Personalräten und anderen Gewerkschaften bei der ÖTV- Geschäftsstelle ein. Auch die Grünen faxten Solidarität und Sozialsenatorin Uhl, die in Münster auf der anderen Seite des Tisches sitzt, ließ der Presse mitteilen, sie sei „bestebt zu erwirken“, daß die Positionen der Beschäftigten „in die Verhandlungen mit einbezogen werden“.

Um 11 Uhr Pressekonferenz der ÖTV. Die Funktionäre sind zufrieden, daß die Streikfront steht. „Es ist das erste Mal, daß in diesem Frauenarbeitsbereich gestreikt wird“, freut sich Personalrat und ÖTV-Kreisvorstandsmitglied Rainer Müller. „Die Stimmung ist gut, die Kolleginnen würden auch noch weitermachen.“ Und die Perspektive? „Wenn Wedemeier erklärt, Senatsentscheidungen würden angesichts des knappen Finanzrahmens nur noch nach Rentabilität gefällt, muß er auch öffentlich erklären, daß die Bremer SPD-Regierung sich aus der Sozialpolitik verabschiedet“, fordert ÖTV- Geschäftsführer Holger Aepker. Eine direkte Konfrontation um den Sozialetat hält die ÖTV für aussichtslos. Verbesserungen sollen über die Einbeziehung von Arbeitsbedingungen in die Tarifverträge erreicht werden, ein Versuch, der in Berlin gescheitert ist (vgl. Interview). Die Berliner Streik-Erfahrungen haben laut Aepker und Müller jedoch „die innergewerkschaftliche Diskussion in Gang gesetzt.“

Ab heute läuft der Kita-Betrieb vorerst wieder normal. Doch falls sich in den Tarifverhandlungen nichts tut, soll es Urabstimmung und Streik geben. asp

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