: Kinder einer ungeborenen Mutter
■ Erneut heiße Debatte um High-Tech-Fortpflanzung in Großbritannien / Eizellen abgetriebener Föten sollen unfruchtbaren Frauen den Kinderwunsch erfüllen
Die Kette der umstrittenen Experimente in der Fortpflanzungsmedizin reißt nicht ab. Erst vor einigen Monaten sorgte der US-Wissenschaftler Jerry Hall weltweit für Furore. Er hatte menschliche Embryonen identisch vervielfacht. Nun legt ein britischer Mediziner nach: Roger Gosden von der schottischen Universität Edinburgh forscht an einer neuen Technik zur Behebung von Unfruchtbarkeit bei Frauen. Sie besteht darin, abgetriebenen weiblichen Föten die Eizellen zu entnehmen. Nach mehrwöchiger Labor-Reifung sollen die Eier dann unfruchtbaren Frauen eingepflanzt werden.
Fünf Millionen Eizellen kann Gosden pro Fötus „ernten“. Bislang übt der Mediziner noch an ungeborenen Mäusen, doch in einigen Jahren soll die neue Methode auch an menschlichen Embryonen und an Frauen anwendbar sein. In Großbritannien, das im Vergleich zur Bundesrepublik eine eher laxe Gesetzgebung in der Fortpflanzungsmedizin besitzt, schlagen die Wogen nun hoch: PolitikerInnen, AbtreibungsgegnerInnen und Kirchenkreise übertreffen sich in der Wahl massiver Vokabeln. Von „makabren“ und „abscheulichen“ Versuchen ist die Rede. So ist Lebensschützerin Anne Dibb von der Antiabtreibungsorganisation Life die Frage gekommen: „Was wird das Kind wohl denken, wenn ihm klar wird, daß es von einer Mutter abstammt, die nicht einmal geboren wurde.“ Die britische Gesundheitsministerin Virginia Bottomley hat schon verlautbaren lassen, daß die Gesetze des Landes ihrer Meinung nach nicht zuließen, Babys auf diese Weise zur Welt zu bringen. Jede Klinik, die Frauen mit unerlaubten Techniken behandle, werde ihre Lizenz verlieren, betonte die Ministerin. Schon kurz vorher hatte es auf der Insel heftige Debatten um eine 59jährige britische Geschäftsfrau gegeben, die sich von dem römischen Befruchtungsprofessor Severino Antinori die Eizellen einer 20jährigen hatte einsetzen lassen und daraufhin Zwillinge gebar.
Wie immer, wenn es in Medizin und Reproduktionstechnologie heikel wird, sollen „ethische Regeln“ nun einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. In diesem Fall wollen die Ethikkommission des britischen ÄrztInnenverbandes (BMA) und die erst drei Jahre alte britische Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HEFA) solche ethischen Einschätzungen erarbeiten. Roger Gosden hat nun alle Experimente an den Mäuseföten erst einmal unterbrochen, um die Stellungnahme des BMA abzuwarten. Dessen Vorsitzender Stuart Horner ließ schon Sympathie für die Forschungsarbeiten durchblicken: „Das Ziel dieser Technik ist es nicht, Ärzte Gott spielen zu lassen, sondern einer kleinen Gruppe von Frauen zu helfen, die keine Kinder bekommen können“, stellte er klar.
Ob sich bei solch durchdachten Überlegungen der Entscheidungsträger die jetzige Empörung halten wird, bis die Methode in ein paar Jahren „menschenreif“ ist, scheint fraglich. Jerry Halls Klonierungsexperimente jedenfalls wurden vom Sturm der öffentlichen Entrüstung – selbst der Papst meldete sich zu Wort – vorerst hinweggefegt: Die Versuche wurden eingestellt und sollen nach Angaben der Universität Washington auch nicht wieder aufgenommen werden. Susanne Billig
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