: Kiechle zwischen Partnerstaaten und Klientel
Grüne Woche vor dem entscheidenden EG-“Agrar“-Gipfel in Brüssel / Unterschiedliche Ausgangslage in der Bundesrepublik und Großbritanien ■ Von Wilhlem Purk
Die „Grüne Woche“ in Berlin feiert – die Stimmung unter den Bauern dagegen ist gedämpft bis resigniert. Bei der verregneten Ernte 1987 wollte auch keine rechte Freude aufkommen. Zwar waren die Erträge doch nicht so schlecht, wie erwartet wurde, dafür aber erhöhten sich die Kosten für den Maschineneinsatz und die Trocknung des Getreides.
Wenn jetzt im Winter die Preise weiter fallen, sieht es ganz schlecht aus, so ist allerorten zu hören. Die Preise für Schweine- und Rindfleisch stagnieren schon seit langem. Derjenige für Getreide ist seit 25 Jahren nahezu konstant. Die Milcherzeugung ist quotiert, das heißt nur eine bestimmt Menge wird zum Garantiepreis abgenommen, der Rest geht auf Weltmarktpreisniveau.
So ist langsam und fast unmerklich ein Wandel im Dorf festzustellen. Es wird gespart, wo auch immer möglich. Eier, Obst und Gemüse können wieder direkt am Hof gekauft werden. Die Bauern übernehmen Tätigkeiten für die Gemeindeverwaltungen. Jeder Nebenerwerb ist, solange er sich mit der Hofarbeit vereinbaren läßt, willkommen. Eine weitere Senkung der Agrarpreise würde das Bauernsterben – zur Zeit etwa 20.000 Betriebe im Jahr (Rückgang von rund zwei Millionen 1949 auf 707.000 im Jahre 1986) – noch beschleunigen. Die Agrarpreisdebatte ist jedoch gerade der kritische Punkt, an dem der EG-Gipfel im vergangenen Dezember in Kopenhagen scheiterte und der möglicherweise auch den kommenden am 11. und 12.Februar in Brüssel zum Platzen bringt. Die britische Regierungschefin forderte eine drastische Senkung der Agrarsubventionen, die sich immerhin auf über 50 Milliarden Mark im Jahr summieren, etwa 70 Prozent des gesamten EG- Haushaltes.
In Großbritannien gibt es schon lange eine industriell organisierte Landwirtschaft mit großen Einheiten. Ihre Geschichte reicht weit bis in das 19.Jahrhundert zurück. Dort haben 84 Prozent der Betriebe 30 Hektar und mehr. In der Bundesrepublik ist die Verteilung genau umgekehrt. 85 Prozent der Betriebe haben weniger als 30 Hektar. Die britische Landwirtschaft hat somit, vordergründig betrachtet, einen Produktivitätsvorsprung. Jede Agrarpreissenkung setzt diesen Vorteil noch markanter ins Bild.
Diese unterschiedlichen Ausgangsbedingungen lassen etwas von dem Dilemma erahnen, in dem sich die Bundesregierung vor dem bevorstehenden EG-Gipfel am 11. und 12.Februar befindet: Auf der einen Seite dem Druck der EG-partner ausgeliefert, beim Subventionsabbau mitzuhalten, auf der anderen Seite der Konflikt mit ihrer treuesten Klientel – den traditionell konservativ wählenden Bauern. Auf der einen Seite ist die irrationale Preispolitik der EG nicht mehr zu finanzieren und gefährdet den Zusammenhalt der Gemeinschaft, auf der anderen Seite treffen Preissenkungen gerade jene kleinen Familienbetriebe, deren Erhalt die konservative Regierung ehedem versprach. Derweil schreitet hinter den Kulissen die Industrialisierung der Landwirtschaft voran.
Noch immer wird jeder Bauer gefördert, der die Produktivität zum Beispiel bei der Schweinemast erhöht. „Verbesserung der Wirtschaftlichkeit“ der Betriebe nennen sich solche Maßnahmen, die den Markt mit immer mehr Produkten überschwemmen, zu Lasten der überstrapazierten EG- Kasse. Dabei weisen die Zeichen der Zeit seit langem in eine andere Richtung.
Die ökologische Dimension rückt immer stärker in das Blickfeld aller Beteiligten. Das Trinkwasserproblem hat sich durch den intensiven Einsatz leichtlöslicher Mineraldünger verschärft. In Baden-Württemberg ist deshalb jüngst die Einführung eines Wasserpfennigs beschlossen worden, der auf den Wasserpreis aufgeschlagen wird. Damit sollen diejenigen Bauern entschädigt werden, die durch die Begrenzung des Mineraldüngerseinsatzes auf 45 Kilogramm pro Hektar und Jahr Ernteeinbußen erleiden. In anderen Bundesländern sieht die Situation nicht viel beser aus, vor allem in solchen Regionen, in denen Rechtsanwälte oder Zahnärzte 2.000 Schweine oder 50.000 Hähnchen wie aus der Retorte züchten. Hier überlasten die anfallenden Naturdünger mit ihren Emissionen die gesamte Region.
Dabei gibt es eine ganze Reihe von Lösungsvorschlägen, die jedoch alle an dem seit Gründung der EG festgeschriebenem Ziel der Produktionssteigerung rütteln würden.
Schon lange wird die Einführung von Staffelpreisen gefordert, bei denen Lebensmittel von höherer Qualität, zum Beispiel ohne Pestizidrückstände, auch höher bezahlt werden. Hier könnten Subventionen direkt bei der Produktion einsetzen, anstatt bei der Beseitigung der Überschüsse zu versickern. Bei der jetzigen Regelung kommen über 70 Prozent der Subventionen gar nicht beim Bauern an, sondern landen bei einem Agrobusiness, das die Überschüsse und ihre Beseitigung verwaltet, Gelder also, die bei der Senkung der Überschüsse für direkte Subventionen an die Bauern frei würden. Eine andere Forderung ist, „Viehbestandsobergrenzen je Hektar“ einzuführen und nur noch jene Bauern zu subventionieren, die auch das der Tierzahl entsprechende Land bewirtschaften. So könnten diejenigen Produzenten ausgeschaltet werden, die zwar tausende von Tieren besitzen, jedoch kein Stück Land, was für eine umweltverträgliche Landwirtschaft aber unabdingbar ist. Eine umweltbverträgliche Landwirtschaft ist zwar nicht so leistungsfähig wie die konventionelle – man spricht von Ertragseinbußen zwischen 20 und 40 Prozent –, jedoch liegt gerade in der Verringerung der Produktion die einzige Lösung der kumulierenden Finanzkrise der EG.
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