: Kickender Kunstfuß
■ Sein angeborenes Handicap ist schon lang keines mehr: Der Garbeker Fußballer Arne Tonn ist seit Jahren mit einer Unterschenkelprothese am Ball
Arne Tonn ist Fußballer. „Ein sehr guter sogar“, wie sein Trainer Michael Voß meint. Einer, der das Spiel lesen könne und immer voll bei der Sache sei. Obgleich ihn derzeit und zum Ende der gerade abgelaufenen Spielzeit eine Verletzung zurückwarf. Längst hat sich der 20-Jährige einen Stammplatz im Mittelfeld beim TuS Garbek, dem jüngst gekürten Kreisliga-Meister aus dem Kreis Segeberg, erkämpft.
Soweit eine Geschichte, wie sie jedem Kicker passieren könnte. Das Besondere: Arne Tonn spielt mit Prothese, einer Beinverlängerung mit künstlichem Fuß, da sein rechter Unterschenkel von Geburt an nicht vollständig ausgebildet ist. „Das Bein ist etwa zehn Zentimeter zu kurz“, erklärt Tonn. Bei fast jeder Partie muss er neugierige Gegenspieler oder Zuschauer aufklären. Anders als im Alltag kann er seine Behinderung auf dem Sportplatz nicht verbergen; will er auch gar nicht. Zudem fehlt das Wadenbein und somit ein vollständig ausgebildetes Sprunggelenk. Auch der Fuß ist zu klein, hat außerdem nur drei Zehen. Was den Rechtsfüßer jedoch nicht daran hindert, mit diesem Bein seine Tore zu schießen. „Phänomenal“, schwärmt Trainer Voß, der vor einem Jahr den TuS Garbek übernommen und „so etwas vorher auch noch nicht gesehen“ hat. Der Coach stellt allerdings klar: „Arne genießt keine Sonderrechte, er empfiehlt sich durch Leistung.“
Auch bei seinen Mitspielern hat Arne Tonn keinen Bonus. „Seit sie gemerkt haben, dass ich auch voll durchziehe, nehmen sie keine Rücksicht mehr.“ Bei so manchen Gegenspielern kann der 20-Jährige indes sein Handicap in einen Vorteil umwandeln, da er unterschätzt wird. Jedoch nur so lange, bis er seinen Geg-ner erstmals überlaufen hat.
Wer den Steuersekretär beim Bad Segeberger Finanzamt bei seinem Hobby beobachtet, denkt zunächst an eine Verletzung am Schienbein. Dabei endet dort bereits sein rechtes Bein, der Rest ist Prothese. „Nur beim Jonglieren gibt es einige Probleme“, erzählt Tonn. Denn fällt der Ball mal auf den Übergang zu seinem „Kunstfuß“, springt er sofort weg. Die Lösung könnte einfacher nicht sein: Jonglieren tut er meist mit dem linken Fuß.
Klar, dass Mutter Marion Tonn alles andere als begeistert war, als ihr Sprössling im Alter von zehn Jahren gegen Bälle treten wollte und sich anfangs sogar heimlich zum Hallentraining des TuS Garbek schlich. „Er war schon immer sehr sportlich“, sagt sie und erzählt nicht ohne Stolz von den Anfängen beim Judo, einem kurzen Intermezzo beim Handball sowie den Erfolgen im Tennis. In der Jugend-Landesrangliste war er an Position 16 notiert, und mit 16 Jahren schlug er bereits im Bad Schwartauer Herren-Verbandsligateam auf. Aber Fußball? Da hatte Marion Tonn doch Angst um ihren Filius: „Ich dachte, er macht sich das Bein kaputt.“ Schließlich gab sie nach. Die Angst ist dennoch geblieben.
Das Verletzungsrisiko sei natürlich größer als bei anderen Fußballlern, „da das Bein instabil ist“, verdeutlicht Arne Tonn. „Trotzdem ist noch nichts Schlimmeres passiert.“ Und so muss er nicht regelmäßig Ärzte aufsuchen, sondern Orthopädietechniker, da es vorkommt, dass die Prothese den Belastungen nicht standhält. Sogar einen der künstlichen Zehen hat er sich schon „gebrochen“. Der „Heilungsprozess“ verlief jedoch rasend schnell: Es gab einfach einen neuen Fuß. Am nächsten Spieltag bereits konnte er wieder auflaufen. Arne Tonn ist eben doch kein Fußballer wie jeder andere. Markus Carstens
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