: Kekse, Obst, Westbindung
■ Am 15. Juli 1946 kam das allererste „Care-Paket“ über Bremen nach Deutschland
Auch wenn es stimmig gewesen wäre – es wurde kein eingedoster Chesterkäse, kein Milchpulver und auch kein Muckefuck gereicht. Mit stark gebrühtem Kaffee und einem Festakt für Bremer Senorinnen und Senioren erinnerten der Bremer Senat und die Hilfsorganisation CARE Deutschland an fünfzig Jahre „Care-Pakete.“
Am 15. Juli 1946 erreichten die ersten dieser Pakete Deutschland. Anlaufstellle für die zivilen Hilfsgüter aus den Vereinigten Staaten war Bremen. Schließlich platzte Bremerhaven, der wichtigste Hafen im amerikanischen Sektor, durch die Inanspruchnahme der Militärs aus allen Nähten. 35.700 Pakete brachte die „American Ranger“, der erste der Frachter, die insgesamt zehn Millionen Hilfssendungen via Bremen nach Deutschland verschifften. Das Bremer „Haus des Reichs“ blieb bis 1953 das logistische Zentrum der Hilfsaktion.
Zu Beginn gab es in den Paketen keine Überraschungen, wie sich Bürgermeister Henning Scherf erinnert. Kein Wunder, denn zunächst wurden die Bestände der US-Armee verschickt: die Mahlzeit für zehn Soldaten, Fleischkonserven, Kornflakes, Kekse, Obst, Zucker und vor allem ein Päckchen Zigaretten entlohnten für das Schlangestehen bei der Arbeiterwohlfahrt im Schnoor. Hans Jürgen Ertle, Vorsitzender von Care-Deutschland, erinnert sich an „die enorme innere Dankbarkeit an die Amerikaner.“ Sein erstes halbes Paket war „ein Geschenk des Himmels. Wir hatten als Bergleute zwar Schwerstarbeitermarken, aber du kriegtest ja nirgends etwas.“
Allerdings gelangte nur die Hälfte der Pakete, so der derzeitige stellvertretende Care-Vorsitzende Hans Koschnik, in die freie Verteilung. Brigitte Fellehner erlebte die Care-Zeit in Schleswig-Holstein. „Bei uns hat der Pastor die Pakete bekommen, aber der hat auch für sich abgezweigt. Wir haben ja die Dosen gefunden.“ Auch Koschnik weiß: „Der Rest ging an die, die in Beziehung zum Staat standen. Aber der Wille der Menschen, nach all diesen Verbrechen zu helfen, war der Motivationsschub: geht nicht in die Knie, laßt uns den Aufbau gemeinsam schaffen.“
Den Festakt nutzte Hans Koschnik aber auch, um zu mahnen. Mit Blick auf die Lage im ehemaligen Jugoslawien forderte der ehemalige EU-Adminstrator von Mostar die Bremer zur Hilfe auf. „Damals wurde uns geholfen, und jetzt ist es an uns zu helfen. Deshalb: nicht Sprüche kloppen, sondern machen.“
Im Laufe der Zeit veränderte sich der Charakter der Pakete, wurde individueller. Nicht nur Armee-Kost bestimmte das Programm. Doch auch die Chance, eine Niete zu ziehen, war größer geworden. Dr. Harmut Müller, der Leiter des Bremer Staatsarchivs, erinnert sich: „Im einzigen Paket, das ich mal bekam, waren Nylon-Taschentücher und anderer Unsinn drin.“ Deutschland aber blieb unvermindert der Schwerpunkt des privaten Hilfsprogramms mit politischem Hintergrund. Brigitte Fellehner: „Von da an war Amerika für uns das gelobte Land." Damit war das politische Ziel der US-Führung, die diese Hilfsaktion zunächst mit Bauchschmerzen genehmigt hatte, erreicht. Dr. Harmut Müller: „Ich sage nur: Westbindung.“ L.R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen