: Keiner werfe den ersten Stein
■ betr.: „Die europäische Arro ganz“, taz vom 28.12. 96
Natürlich gehören Kriegsverbrechen aufgeklärt und Kriegsverbrechen bestraft. Aber auch für sie gelten die Menschenrechte.
Das Menschenrecht auf Leben wurde vor fast dreitausend Jahren auf der Landbrücke zwischen Afrika und Asien in der uns geläufigen Formulierung niedergeschrieben. Es steht in der Thora: „Du sollst nicht töten!“ oder ganz wörtlich: „Daß du nicht tötest!“ Daher ist es keineswegs europäische (oder gar christliche) Arroganz, für dieses grundlegende und allgemeine Menschenrecht einzutreten. Auch wird die Duldung von Massenmord nicht durch das Gutheißen rechtsstaatlichen Mordens gutgemacht.
Wenn ruandisches geltendes Recht die Todesstrafe kennt, geht das auf europäische Vorbilder aus der Zeit des Kolonialismus oder spätere Beratung zurück. Es ist arrogant zu meinen, die Todesstrafe, die zwar in einigen, hauptsächlich westeuropäischen Ländern abgeschafft, in den USA, Rußland, China und anderswo aber noch praktiziert und in der taz zu Recht bekämpft wird, wäre bei den „Schwarzen“ Afrikas sinnvoll, nur weil eine ebenfalls europäisch geschulte und beratene Regierung es so will. Das Menschenrecht auf Leben gilt unabhängig von der Hautfarbe und der Schwere der Verbrechen.
Daß sogar ein Rupert Neudeck sich vom Zorn auf die Massenmörder und über die schrecklichen Verhältnisse in den Gefängnissen hinreißen ließ, im Namen der Toleranz für die Todesstrafe zu plädieren, ist zwar verständlich, aber auch eine Warnung, wie dünn die Decke der Aufklärung und der Menschlichkeit bei uns allen noch ist. Der südafrikanische Schriftsteller Vusamazulu Credo Mutwa, dessen Bruder von einem weißen Farmer erschlagen und dessen Braut bei dem Massaker von Shaftsbury erschossen wurde, schwor nicht Rache, sondern hinfort mehr für Aufklärung, Humanismus und Kennenlernen der Menschen verschiedener Kulturen zu leben. Vielleicht können wir „arroganten Europäer“ etwas Aufklärung von einem Afrikaner lernen, anstatt ein Menschenrecht leichtfertig aufzugeben, weil wir meinen, dessen Erfinder zu sein. Jürn-Hinrich Volkmann, Berlin
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