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Keine überflüssige Minute

Träumen TripHopper von Prog-Rock? „Archive“ lassen Ringmodulatoren auf schleppende Beats treffen und finden inmitten des Lärms die großen Gesten wieder

Es ist an dieser Stelle wiederholt vom Fortleben der Phänomene Art- beziehungsweise Prog-Rock die Rede gewesen. Da gibt es einerseits die alten Hasen aus der Blütezeit, die einfach nicht mitbekommen haben, wann vielleicht Zeit aufzuhören gewesen wäre; andererseits sind da die gar zu originalgetreuen Epigonen.

Jüngste Entwicklung sind einige, insbesondere britische Bands, die, zumeist in Folge des Schlüsselerlebnisses Kid A, jenem spröde-avantgardistischen Album von Radiohead, ihr Heil in fahrigen Post-Songstrukturen, obskuren Klangquellen und manch großer Gesten suchen. Haben die meisten dieser Bands eine Vergangenheit in allerlei moderneren Rockausprägungen, begannen Archive in einer Schublade namens TripHop.

1996 erschien ihr Debüt Londinium, und mit der richtigen Vermarktung hätten sie vielleicht die eine oder andere Scheibe vom seinerzeit aktuellen Tricky- oder Portishead-Kuchen abbekommen können. Die soliden Reime eines Südlondoner Rappers namens Rosco trafen auf flächige Analogsynthies und maschinelles Wummern, als wären Pink Floyd frisch auf dem Cover des NME gelandete Newcomer aus Bristol. Wohlgemerkt: Im Hause Radiohead trat man damals noch konzertiert die Verzerrer an und aus.

Anlässlich des Nachfolgers Take My Head (2000) wurdehauptsächlich das zwischenzeitliche Aufgehen der Band in Streit und Missgunst kolportiert, heute spricht Archive-Gründer Danny Griffiths rückblickend von einem „Fehler“, Sänger Darius Keeler gar von „einem seelenlosen Haufen Scheiße“. Jetzt haben Archive sich zusammengerauft und mit You All Look The Same To Me wieder ein Album vorgelegt, hinter dem sie auch stehen. Der TripHop-Anteil ist kaum noch vorhanden, stattdessen dominiert langer Prog-Rock-Atem (das Eröffnungsstück „Again“ ist stolze 16 Minuten lang, von denen eigentlich keine überflüssig ist) und grandios in Szene gesetzte, pathetische Jungmänner-Angst. Mit ein bisschen Glück tappen Archive live nicht in die allzu nah liegenden Falle Muckertum, sondern schaffen es, die getragene Intensität ihrer Platten (zumindest der ersten und dritten) auch zu reproduzieren. Alexander Diehl

Mittwoch, 21 Uhr, Schlachthof

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