: Keine karitative Großtat
ZUWANDERUNG Wegen verschärfter Bedingungen wie des geforderten Sprachnachweises gehen Einbürgerungen zurück
VON TILMAN VON ROHDEN
Der Abwärtstrend bei den Einbürgerungen hat sich in Berlin im ersten Quartal fortgesetzt. In den ersten drei Monaten 2009 ließen sich 1.691 Personen einbürgern. Das entspricht einem Rückgang von gut 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Sinkende Einbürgerungszahlen sind in Berlin nichts Neues. 2008 lag das Minus bei 11 Prozent. Diese Werte sind mit anderen Bundesländern durchaus vergleichbar, denn im bundesweiten Schnitt sanken die Einbürgerungen um 15 Prozent.
Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg macht dafür „verschlechterte Bedingungen“ verantwortlich und kritisiert beispielsweise die Reform des Zuwanderungsgesetzes aus dem Jahr 2007. Danach müssen nachziehende Ehegatten noch im Herkunftsland eine Sprachprüfung ablegen. Sie ist die Voraussetzung, um in Deutschland zu leben. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) häufen sich Fälle, bei denen durch den geforderten Sprachnachweis ein Familienleben in Deutschland „auf lange Zeit, wenn nicht gar auf Dauer verhindert“ wird. Im Zuwanderungsgesetz fehle zudem eine Härtefallregelung, um dem verfassungsmäßigen „Schutz von Ehe und Familie gerecht werden zu können“, moniert das DRK.
Mit der Einführung der Sprachprüfung für nachziehende Ehegatten sollten Zwangsheiraten bekämpft werden. Unstrittige Zahlen darüber, ob dies gelungen ist, existieren nicht. Safter Cinar vom Türkischen Bund hält dieses Mittel deshalb für gänzlich untauglich: „Wer Menschen zur Heirat zwingen kann, wird auch einen erfolgreichen Sprachtest erzwingen können.“
Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 entstand ein weiterer Stein des Anstoßes. Nach dem sogenannten Optionsmodell müssen sich in Deutschland geborene Volljährige mit Eltern aus Nicht-EU-Staaten für die deutsche Staatsangehörigkeit oder die des Herkunftslandes der Eltern entscheiden. Diese Regelung, so Cinar, „führt insbesondere die türkische Gruppe in eine unnötige Zwangssituation“. Das Optionsmodell sei ungerecht, weil es beispielsweise für EU-Bürger nicht gelte. Im Ergebnis, so der Türkische Bund, „sinke die Lust auf Einbürgerung“.
Dass die Einbürgerungszahlen „unbefriedigend“ seien, sagt auch Berlins Beauftragter für Integration und Migration, Günter Piening. „Allzu viele sind von demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen, das tut unserer Demokratie nicht gut.“ Er fordert großzügigere Härtefallregelungen im bestehenden Rechtssystem, um die Zahl von Einbürgerungen zu steigern. Warum er nicht gleich für eine vollständige Reform eintritt, bleibt sein Geheimnis, denn seine Problemanalyse deckt sich mit der von Kritikern, die genau das fordern.
Wie sehr sich die Diskursparameter in den vergangenen Jahren verschoben haben, zeigt sich gerade bei der Diskussion auf dem traditionell hart umkämpften Feld der Einwanderung. Immigranten hatten es in der Vergangenheit in jedem Fall schwer: Sie wurden mit „Anwerbestopps“ abgeschreckt oder mit „Ausreiseprämien“ geködert.
Ein solcher Umgang mit Migranten ist heute kaum mehr vorstellbar. Deren Ansprache ist von Moll auf Dur gewechselt. Heute lobt die Bundeskanzlerin die ausländischen Mitbürger: „Wir haben erkannt, dass Migration unser Land verändert hat, weiter verändern wird und unser Land bereichert.“ Vor 10 oder 20 Jahren wäre dies von der CDU, und nicht nur von ihr, als politische Folklore abgetan worden.
In der Tat hat die jetzige Diskussion alle Multikulti-Fröhlichkeit abgelegt. Es geht nicht mehr um Humanitas und kulturelle Vielfalt. Einwanderung sei keine „karitative Großtat“, so die Bundeskanzlerin, sondern eine Frage „ökonomischer Stärke“. „Wir haben erkannt, dass unser Land ein Integrationsland sein muss“, sagt sie jetzt öffentlich, ohne dass ein Stöhnen durch die Republik geht. „Die Zukunft unsere Landes“ hänge von der Einwanderung ab.
Wie so oft werden auch hier gesellschaftliche Modernisierungsprozesse vom Denken in wirtschaftlichen Kategorien initiiert. Die Ökonomie erweist sich einmal mehr als politisches Metronom. Ähnlich argumentiert auch der in Berlin lebende Migrationsforscher Prof. Dr. Klaus J. Bade. Er setzt bei den Bildungsprofilen der Migranten an: „Diejenigen, die Deutschland verlassen, haben ein deutlich besseres Qualifikationsprofil als diejenigen, die zu uns kommen.“ Mit einer solchen Migrationsstruktur könne der strukturelle Fachkräftemangel in Deutschland nicht aufgefangen werden. „Wer nicht flexible Systeme für eine gezielte Zuwanderung Hochqualifizierter vorhält, die er bei Bedarf schnell hochfahren kann, wird in der verschärften internationalen Konkurrenz nach dem Ende der Krise im Nachteil sein“, skizziert er die nahe Zukunft.
Der Kern des Problems sei, dass wir „kein proaktives Steuerungssystem für Zuwanderung“ haben. Dagegen setzt er ein Punktesystem, das unter anderem Ausbildung, berufliche Qualifikation, Sprachkenntnisse und Alter berücksichtigt. Es wird mithilfe einer „Engpassdiagnose“ an der aktuellen Lage am Arbeitsmarkt ausgerichtet. Bade ist ein Propagandist nationaler Elitenkultur. Er unterscheidet sich von ähnlichen Ansätzen dadurch, dass er Elite prononciert bunt denkt. Ob sich globale Probleme mit dieser nationalstaatlichen Perspektive angehen lassen, ist aber mehr als fraglich.