: Keine Wehr gegen die Kraken
■ Vier Medienriesen der BRD auf dem DDR-Markt / Einbrüche von Zeitungen und Zeitschriften sind zu befürchten /Medienkontrollrat war ratlos, Ministerrat und Runder Tisch blieben tatenlos
Am Montag vergangenerWoche haben die vier Medienkonzerne der BRD Springer, Gruner & Jahr, Burda und Bauer ihren Angriff auf bislang nicht erobertes Terrain direkt vor ihrer Haustür gestartet. In Lebensmittelläden, Drogerien, Warenhäusern und anderswo sind BILD, Bravo oder Spiegel gegen DDR-Mark im Verhältnis 1 zu 3 erhältlich. Zwecks Effizienz haben sich die vier Medienriesen das DDR-Territorium untereinander aufgeteilt.
Die konzertierte Aktion (nach eigener Darstellung wird das bestritten) bewegt sich im rechtsfreien Raum. Zu dieser Einschätzung kam am vergangenen Mittwoch der Medienkontrollrat der DDR, der sich unter anderem diesem Problem in seiner 4. Sitzung anzunehmen hatte. Der Zoll, so hieß es dort, lasse die LKW-Ladungen mit Presseerzeugnissen ungehindert die Grenzen passieren. Da die Druckerzeugnisse hierzulande nicht registriert sind, zahlen die Konzerne auch keine Steuern.
Wie wurde ein solcher Alleingang, der auf keinen Widerstand in der DDR stößt, möglich? In den zuständigen Ministerien wußte man seit Monaten, was in den Chefetagen der vier Verlagshäuser geplant wurde.
Im Januar, genauer am 11. des Monats, unterbreitet der stellvertretende Postminister der DDR, Dr. Hammer, den Unternehmen den Vorschlag, über einen gemeinsamen Vertrieb der Zeitungen und Zeitschriften durch die Post zu verhandeln. Die vier lassen sich nicht lange bitten. Wenige Tage später, am 16. Januar, unterbreiten sie ihr Konzept. Am 23. kommt der Ministerrat überein, daß die Entscheidung über einen Joint venture am 1. Februar zu fällen sei. Doch die Regierung vertagt das Thema und gibt es an den Runden Tisch weiter, der den Antrag abschlägig behandelt.
Damit ist der Fall erledigt, nicht für die Konzerne. Jetzt prüfen sie die Möglichkeiten des Aufbaus eines Vertriebssystems (Grosso), wie von Vertretern des Bundeskartellamtes, die auf der Sitzung des Medienkontrollrates erschienen, bekanntgegeben wurde.
Während hierzulande schon seit Monaten durch die Mitarbeiter der Medien der Einmarsch der West -Presseerzeugnisse befürchtet wird, waren sich offenbar Ministerrat und Runder Tisch des Problems, das eine ganze Branche bedroht, nicht bewußt. Anders kann die Tatenlosigkeit nicht gewertet werden.
Seit Wochen haben mittelständische bundesdeutsche Verleger darauf aufmerksam gemacht, daß es dringend geboten ist, den ungehinderten Einmarsch der Medienkonzerne abzuwehren. Durch die expandierende Macht der Multis, die 70 Prozent des bundesdeutschen Marktes beherrschen, wäre in Zukunft auch ihre Existenz gefährdet. Wie schwierig es ist, sich auf dem hart umkämpften Printmedienmarkt zu behaupten, beweist auch die Tatsache, daß es in den vergangenen 20 Jahren allein der taz, als neugegründeter Tageszeitung, gelungen ist, zu überleben.
Der Zeitungsabonnent in der DDR überlegt derzeit, was er sich in Zukunft noch ins Haus kommen läßt. In den Postämtern stapeln sich die Abbestellungen. In den nächsten Wochen wird sich erweisen, welche Zeitung oder Zeitschrift überlebt. Es sind große Einbrüche zu befürchten.
Genau auf diese Situation waren die Medienkonzerne. Für sioe wird es ein Leichtes sein, die Konkursmasse aufzukaufen und in das regionale Zeitungsgeschäft einzusteigen. Die Verhandlungen laufen seit Wochen. Doch ein konkreter Nachweis läßt sich kaum führen. In den Chefetagen hält man sich bedeckt.
Der Medienkontrollrat, dem es zugekommen wäre, einen dringenden Appell an den Ministerrat zu richten und ihn aufzufordern, umgehend Maßnahmen einzuleiten, war ratlos. Was tun? Am nächsten Mittwoch will das Gremium wieder zusammenkommen und erneut beraten. Doch die Zeit läuft, und einmal geschaffene Tatsachen sind kaum rückgängig zu machen. Vielleicht steht es in der nächsten Woche bereits fest, daß die ersten DDR-Zeitungen und Zeitschriften in Kürze ihren Konkurs anmelden müssen.
Der (zwar noch spekulative) Blick in die Zukunft ist düster: Der Abschied von einer eigenständigen DDR-Presse, die gerade dabei war, sich vom administrativen Dirigismus und der Selbstzensur zu befreien, bedeutet auch, daß Tausende, vom Drucker bis zum Redakteur, auf die Straße fliegen. Die Marktwirtschaft sorgt dann für Meinungsfreiheit - für Gruner & Jahr, Springer, Burda und Bauer.
Sybille Licht
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