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„Keine Scheibchen“

■ Der Regierende hält Reiseregelung für völlig unzureichend / Diepgen: „Jetzt muß das Brandenburger Tor aufgemacht werden“

Die DDR-Führung hat mit dem Reisegesetz nach Auffassung von Berlins Regierendem Momper (SPD) „die Chance vertan, das anhaltende Mißtrauen der Bevölkerung an einem entscheidenden Punkt zu durchbrechen“. Momper erklärte gestern, vor einem Jahr noch wären die DDR-Bürger angesichts der jetzt vorgelegten Regelungen in Jubel ausgebrochen, heute jedoch sei es das falsche Signal, wenn der Staat immer noch den Eindruck erwecke, als wolle er die Reisen seiner Bürger reglementieren und mit bürokratischen Prozeduren verbinden.

Die DDR-Führung schüre das Mißtrauen gegen sie, wenn sie sich die notwendigen Reformen immer noch nur scheibchenweise abtrotzen lasse. Der Ministerrat hätte gut daran getan, ein Reisegesetz vorzulegen, „das volle Reisefreiheit ohne staatliche Bevormundung garantiert“. Die Beschränkung der Reisedauer auf 30 Tage mache überhaupt keinen Sinn angesichts der Tatsache, daß die DDR froh sein müsse, wenn Reisende in ihr Land zurückkehrten. Die seit Sonntag geltende unbürokratische Ausreise über die CSSR sei ein Beispiel für eine Politik, die den Bürgern keine weiteren Steine in den Weg lege. Doch sei zu fragen, was es für einen Sinn mache, wenn die Bürger über ein drittes Land ausreisen müßten. Es wäre nur logisch und konsequent, die Bürger direkt ausreisen zu lassen. Der Umweg über die CSSR halte ohnehin niemanden davon ab, die DDR zu verlassen.

Zum Entwurf des neuen Reisegesetzes erklärte gestern der CDU-Landesvorsitzende Eberhard Diepgen: „Der Entwurf des neuen Reisegesetzes ist eine Enttäuschung. Er war als Fortschritt geplant und erweist sich jetzt angesichts der hochgespannten Erwartungen eher als ein Rückschritt.

Viele Deutsche in Ost-Berlin und in der DDR werden jetzt sagen: Die da oben haben immer noch nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Ich sage voraus, daß dieser Entwurf nicht das letzte Wort sein wird.“

dpa

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