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Keine Problemkinder

■ Coming-out in „Raus aus Åmål“

Åmål ist eine dieser beschissenen Kleinstädte, deren Begrenztheit sich nicht als physisch, sondern als emotional erweist. Nur weiß man so etwas nicht immer: insbesondere, wenn man jugendlich ist. Dann fühlt es sich eher so an, als ob die großen Versprechungen überall, nur nicht in der eigenen Kleinstadt ankommen. So sieht es jedenfalls die fünfzehnjährige Elin (Alexandra Dahlström), die vermeint, den Tod durch Langeweile sterben zu müssen. Ihrer Meinung nach wird sich in fucking Åmål – jedenfalls so bald – nichts Weltbewegendes ereignen.

Ganz ähnlich sieht es auch ihre Schulkameradin Agnes (Rebecca Liljeberg), die bereits seit zwei Jahren in Åmål wohnt, aber noch keine einzige Freundin gefunden hat. Im Gegensatz zu Elin fällt es Agnes jedoch schwer, den eigenen Lebenshunger und die Sehnsucht nach Intimität in eine brauchbare Form zu bringen. Die üblichen Träume – der erste Kuss, die erste Liebe, das ausstehende große Abenteuer – scheinen ihr versperrt, gerade weil sie sich ausgerechnet in Elin verliebt hat. Denn Elin ist unter Gleichaltrigen ein Star und Agnes unsichtbar. Wie sollte sich das jemals ändern?

Aber dann taucht Elin trotzdem in Agnes' Leben auf und sorgt für Turbulenzen, da sie plötzlich Gefühle für Agnes entwickelt, die sie sich erst nicht einzugestehen vermag. Sich in eine Außenseiterin verlieben und noch dazu in ein als „lesbisch“ denunziertes Mädchen – heißt das nicht möglicherweise in die Mühlen sozialer Ächtung zu geraten? Jedenfalls wird noch viel geschehen müssen, bevor eine solche Liebe in fucking Åmål lebbar wird.

Drehbuchautor und Regisseur Lukas Moodysson hat mit der schwedisch-dänischen Koproduktion Raus aus Åmål in ganz Skandinavien einen Kassenschlager gelandet, der 1998 in Schweden gar mit Titanic gleichzog. Auf den ers-ten Blick mag das verwundern, denn homosexuelle Coming-out-Geschichten werden gerne an ebensolche subkulturelle ZuschauerInnen deligiert.

Näher betrachtet, geht der Film jedoch in weiten Teilen über die Frage, wie es denn der eigenen Mutter zu sagen wäre, hi-naus. Raus aus Åmål widmet sich vielmehr einer grundsätzlichen Frage des Erwachsenwerdens, für deren Beantwortung die sexuelle Orientierung zwar wichtig, aber nicht alleinstehend ist: Wie werde ich mir und meinen Wünschen und Gefühlen gerecht? Dass dadurch auch die eigene Zukunftsplanung, der Umgang mit Eltern und FreundInnen, das Verhalten gegenüber Diskriminierungen und vieles mehr mit in den Mittelpunkt rücken, ist dem Film hoch anzurechnen. Zumal die Charaktere dadurch nicht wie isolierte Problemkinder wirken, sondern tatkräftig an ihren Hoffnungen schmieden. Doro Wiese

Do, Fr, Mo-Mi, 18 Uhr, 3001, OmU, Vorfilm: Sein letztes Wort; Sonnabend, 22.30 Uhr Zeise, dt.F.

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