: Keine Lust auf Schönrednerei
■ Regionalkonferenz der Bundesprominenz der Grünen zum neuen Parteiprogramm im Bremer World-Trade-Center: Zwischen Vergangenheits-Bewältigung und dem Blick auf „Übermorgen“
„Wir denken bis übermorgen“, unter diesem Motto soll das neue grüne Parteiprogramm stehen und das „Übermorgen“ wird auf das Jahr 2020 konkretisiert. Also ein Programm, dass nicht in Jahrtausend-Visionen fern der konkreten Politik schwelgen soll, aber eben auch kein koalitionstaktisch begrenztes Papier. In Bremen hat am Samstag die erste von einer Serie von Regionalkonferenzen stattgefunden, auf denen der Entwurf für dieses Programm beraten werden soll.
Klaus Möhle, der grüne Landessprecher, hat den versammelten grünen Berufspolitikern zur Einstimmung in der ihm eigenen Klarheit gesagt: „Wir haben keine Lust auf Schönrederei.“ Klar ist, dass es Kompromisse geben muss in einer Koalition, klar, dass der kleine Koalitionspartner nur kleine Brötchen backen kann, aber dann möchte die Parteibasis gesagt bekommen, was Erfolg ist und was Kompromiss. Das Beispiel, das ihn am meisten geschmerzt hat, ist der Atomausstieg. „Ein kleiner Schritt“, sagt Möhle, aber bei den Grünen sitzen zu viele Experten, als dass man da irgend jemandem weismachen könnte, das sei mehr.
Verbraucherschutz, Verbrauchermacht fehlen in den programmatischen Überlegungen. Insgesamt war Möhle „ein bisschen stolz auf unseren kleinen Landesverband“, da haben viele im Bremer World Trade Center kluge Dinge gesagt. Kommt das an, können grüne Berufspolitiker noch zuhören? „Zum Teil ja, aber manchmal habe ich doch den Eindruck, die leben ein bisschen in einer anderen Welt.“
Helga Trüpel, Bremer Bürgerschaftsabgeordnete und insofern eher „Berufspolitikerin“, freut sich über die grüne Streitkultur, die auf dieser Konferenz deutlich geworden ist. Für sie werden aber die „Zielkonflikte“ zu wenig deutlich, es ist zu wenig von der Perspektive bis „2020“ die Rede und zu viel Rücksichtnahme auf die aktuelle Bundesregierung. „Die Professionalisierung der grünen Partei war notwendig“, findet Helga Trüpel, aber manchen Funktionär beschliche das Gefühl, dass das nicht alles gewesen sein könne.
Für Marieluise Beck, die aus Bremen stammende Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, ist dieses neue Programmpapier vor allem eine Bilanz des Weges, den die Grünen in den letzten 20 Jahren zurückgelegt haben. „Wir haben auch viele politische Irrtümer mit uns herumgeschleppt“, sagt Beck, und erinnert sich noch an Ausprüche von Jürgen Trittin, heute Minister, der grünenintern früher Reden führte wie: „Mit dem Staat haben wir alle nichts am Hut.“ Sie will deswegen nicht die nächste Utopie in den Raum schmeißen, bevor geklärt worden ist, wo die alte nicht passte. „Deswegen bin ich mit diesem vorsichtigen neuen programmatischen Text zufrieden, insbesondere diese Präambel ist für mich wunderbar“.
Konkrete Festlegungen stehen da oft nicht, zum aktuellen Streitpunkt Einwanderungsgesetz heißt es schlicht: „Einwanderung ist eine produktive Kraft“. Das könnte sogar der Innenminister unterschreiben, der vor Jahren einmal neben Beck im grünen Fraktionsvorstand gesessen hat. In der Auseinandersetzung mit Schilys Einwanderungs-Gesetz hat Marieluise Beck am Samstag in Bremen einen „Jubeltag“ erlebt: Seit Tagen streitet sie fachkundig und allein gegen die Zustimmung, die das 250 Seiten dicke Schily-Paket erfahren hat bei allen, die es nicht gelesen haben. „Da hat zum Teil der alte Kanther-Apparat seine Schubladen geleert“, sagt die Ausländerbeauftragte. Da gebe es ganz restriktive Elemente, Ermessensspielraum, wo Rechtssicherheit nötig sei. Am Samstag erklärte der grüne Bundesvorsitzende Fritz Kuhn zum ersten Male öffentlich, dass das Schily-Paket „so nicht“ Kabinettsentwurf werden könne. „Das kann man nicht durch kleine Veränderungen korrigieren“, sagt Marieluise Beck. Vor zwei Wochen war sie noch allein mit dieser Meinung.
Klaus Wolschner (vgl. auch Berichte Seite 1 und 3)
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