: Keine Liebe zu dritt
Aber dafür bei lebendigem Leib gehäutet werden: In „Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl“ verwebt der Regisseur Peter Staatsmann in der „box + bar“ des DT drei Erzählungen von Thomas Brasch über den Zwang
Margit Bendokat und Christian Grashof lesen Thomas Brasch in der „box + bar“: Das ist, vor allem anderen, eine Bezeugung des Respekts vor der Geschichte der Schauspieler.
In der Erzählung „Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl“ von Thomas Brasch, die dem Abend in der jüngsten Spielstätte des Deutschen Theaters den Titel gab, geht es – scheinbar – um eine „Republikflucht“. Der Erzähler, ein Schlosser, freundet sich mit Robert an, einem lauten, wilden Typen. Sie fahren spontan an die Ostsee, raus aus allem. Dort lernen sie Sophie kennen, eine Saisonarbeiterin. Es wird eine Dreierliebe, ein paar Wochen lang, dann muss der Erzähler wieder zur Schicht und Sophie ihre neue Stelle im Krankenhaus antreten. Schon vorher löst sie die Verbindung, denn zu dritt lieben, „das geht nicht“. Der Erzähler und Sophie treffen sich sechs Wochen später bei der Polizei wieder: Robert hat versucht, aus der DDR zu fliehen und wurde dabei getötet.
Den Regisseur Peter Staatsmann, der die Erzählung gemeinsam mit Bettina Schültke für die Bühne bearbeitet hat, interessiert weniger die DDR-Geschichte; für ihn ist die Arbeit, genauer das Arbeitenmüssen das entscheidende Thema. „Der Mensch wird überflüssig, weil es seiner lebendigen Arbeit nicht mehr bedarf“, heißt es etwas simpel in der Ankündigung. Daher hat Staatsmann diese Geschichte mit zwei anderen von Brasch verwoben. Mit der vom Arbeiter, der über „a) meine Frau, b) mich, c) unsere Ehe“ sprechen möchte und so weiter, das ganze Alphabet lang, und dafür, nach eigener Einschätzung, ein Jahr brauchen würde. Im darauf Folgenden will er die Arbeit dann nachholen, indem er an den Wochenenden zweimal 24 Stunden arbeiten will. Doch der Chef lässt sich auf den Deal nicht ein. Der Arbeiter wird stattdessen in die geschlossene Anstalt eingewiesen. Die andere Erzählung „Zweikampf“ greift die Geschichte vom Sängerwettstreit zwischen Apoll und Marsyas auf: Marsyas ist in der Lesart des Autors Brasch allerdings eher ein Prolet als ein Gott, der dem Apoll überlegen ist und trotzdem verliert. Er wird hernach von den „Musen“ geschunden, indem man ihm bei lebendigem Leibe die Haut abzieht. Obschon die beiden beeindruckenden Schauspieler Margit Bendokat und Christian Grashoff zum Teil direkt aus dem Textbuch vorlesen, ist das Stück weit mehr als eine szenische Lesung. Die Bühne ist kahl, lediglich eine Bank und zwei Stühle werden benutzt. Die drei eingespielten Musikstücke von Nono, Dylan und Ernst Busch hätte es nicht einmal gebraucht, auch den Lichtzauber nicht. Denn Grashoff und Bendokat beleben nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrer eigenen Geschichte – sie sind beide 1943 geboren und waren schon zu DDR-Zeiten am DT beschäftigt – die Texte, sie machen sie, wenn man so will, wahr. Staatsmanns Konzentration auf die Arbeitswelt verengt die Texte zwar, doch er wird durch sein eigenes Material widerlegt.
Es geht um Konventionen an sich, die den Menschen gerade, wenn er sich noch wehren kann, zur Selbstdeformation zwingen – und eine Liebe wird unmöglich, weil der Nachbar sie nicht dulden will, ein Leben scheitert, weil das Geld nicht reicht. Staatsmanns spektakelfreie, heitere Inszenierung, die Stimmen und die spärlichen Gesten von Bendokat und Grashof heben die Eindeutigkeit, die die Dramaturgie den Texten geben will, auf. Selbst als Bendokat einmal versehentlich ihren Text verblättert, bricht die Stimmung nicht, werden die Schauspieler nicht erst da menschlicher, einfach, weil sie schon die ganze Zeit als Menschen vor uns stehen. Die fünf Vorhänge, die ihnen der Publikumsapplaus am Samstag abverlangte, waren absolut angemessen. JÖRG SUNDERMEIER
In der „box + bar“ des Deutschen Theaters, wieder am 27. 2., 5. und 17. 3.