■ Gerhard Schröder besucht Fidel Castro. Der kubanische Journalist Reynaldo Escobar will ihm dabei helfen: Keine Gewissensbisse, Herr Schröder
Señor,
es ist das Letzte für einen Kubaner mit Selbstachtung, einen Ausländer als Botschafter zu suchen, um Einfluß auf die politischen Verhältnisse in seinem eigenen Land zu nehmen. Viele versuchen dies, und sie erreichen damit nur eines: dem Argument immer neue Nahrung zu geben, wonach in Kuba jede Opposition, Dissidenz oder auch nur leichte Abweichung von der offiziellen Linie notwendigerweise im Dienste des Imperialismus steht.
Sie, Señor Schröder, werden in Kürze in Havanna landen. Sie werden die Möglichkeit haben, mit jenen zu sprechen, die die politischen Entscheidungen ausführen. Und, wie man hört, sollen Sie sogar von jener höchsten Instanz empfangen werden, die diese Entscheidungen trifft.
Wie gesagt, ich werde Sie nun nicht darum ersuchen, im Namen derjenigen in Kuba zu sprechen, die keine Möglichkeit zur Verbreitung ihrer Meinungen haben und die auch nicht zu solchen Gesprächen empfangen werden. Ganz im Gegenteil: Ich möchte Sie bitten, unter keinen Umständen politischen Druck auszuüben – nicht die leiseste Andeutung –, der den Verdacht erweckt, daß gute Beziehungen mit Investoren aus Deutschland etwa von demokratisierenden Reformen abhängen könnten. Sie können sich gar nicht vorstellen, was so etwas für diejenigen anrichten kann, die dies als Kubaner in Kuba versuchen.
Tun Sie das nicht! Investitionen aus dem Ausland werden in Kuba freudig begrüßt – und nicht nur von der Regierung, wie die Exilanten in Miami behaupten, die mit jeder Investition ihren Traum von der Rückgabe des einst enteigneten Eigentums bedroht sehen. Nein, auch das Volk zeigt große Freude, schließlich bringt jede Investition die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze. Dabei bleiben die Kubaner Angestellte rein staatlicher „Beschäftigungsfirmen“, die sie an die ausländischen Firmen verleihen. Dafür erhalten sie als Lohn weniger als ein Zehntel dessen, was der ausländische Investor der „Beschäftigungsfirma“ für die bereitgestellte Arbeitskraft bezahlt. Doch trübt das die Freude über die Investitionen nicht, denn dank ihres sozialistischen Bewußtseins verstehen die Arbeiter in Kuba, daß das Auslandskapital einen unverzichtbaren Beitrag leistet zum Erhalt der Errungenschaften der Revolution, des staatlichen Gesundheits- und Bildungssystems und der Subventionen für all jene Produkte, die nun schon seit 36 Jahren rationiert sind.
Und, Señor Schröder, die Veränderungen in Kuba öffnen das Land nicht nur für ausländische Investitionen, sondern auch für die private Teilnahme kubanischer Bürger am Wirtschaftsleben.
Ich war vor kurzem in einem Büro, in dem Lizenzen für „Arbeit auf eigene Rechnung“ beantragt werden können. Sie wissen sicher: Wir Kubaner stehen öfter Schlange, um irgendeine Ware oder Dienstleistung zu erhalten. Die Schlange vor dem Büro jedoch war länger als üblich. Genau genommen waren es zwei Schlangen: Eine kleinere, in der die Leute warteten, die eine Lizenz neu beantragen wollten. Und eine dreimal längere Schlange all derer, die schon eine Lizenz hatten und diese nun zurückgeben wollten. Als ich nach dem Grund für diese Reue fragte, war die Antwort immer dieselbe: Vom 1. Juni an werden die monatlichen Gebühren und Abgaben für „auf eigene Rechnung Arbeitende“ dermaßen erhöht, daß sie diese nicht mehr zahlen können. Und sie können diese deshalb nicht zahlen, weil zwar der Aufbau des Steuersystems vorankommt, jedoch gleichzeitig jener Wust an Restriktionen unverändert bleibt, der es unmöglich macht, tatsächlich so etwas wie ein legales kleines Geschäft aufzubauen.
Ich erzähle Ihnen dies, damit sie nicht etwa denken, das Auslandskapital sei eine unfaire Konkurrenz, die nationale Anbieter vom Markt verdrängen könnte. Keine Gewissensbisse, Herr Schröder! Lassen Sie jedes Schuldgefühl zu Hause! Es gibt in Kuba schließlich gar keine privaten Produzenten von Dieselmotoren, die benachteiligt werden könnten, wenn Mercedes-Benz jetzt deutsche Motoren in die kubanischen Zuckerrohrerntemaschinen einbaut.
Diejenigen, die in Kubas offizieller Presse verächtlich „Neureiche“ genannt werden, sind von anderem Kaliber: Sie bescheiden sich damit, in ihrem Wohnzimmer ein Restaurant mit maximal 12 Stühlen zu betreiben, oder auf dem Land den Bauern Zwiebeln abzukaufen, diese irgendwie in die Stadt zu bringen und dort auf dem Markt mit Gewinn zu verkaufen.
Eine besondere Bitte noch, da Sie in Havanna die Eröffnungsrede für ein deutsch-kubanisches Symposium über den Wandel des Wirtschaftsrechts in Kuba halten werden, an dem viele Juristen teilnehmen: Bitte bemühen Sie sich, daß keiner der deutschen Anwälte etwa auf die Idee kommt, sich für seinen kubanischen Kollegen, den Anwalt Leonel Morejón Almagro, einzusetzen. Dieser hat in etlichen politischen Prozessen als Anwalt der Verteidigung gearbeitet, und vor wenigen Wochen ist er nun selbst zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Sie verstehen sicher, daß ein Engagement für ihn nur bestätigen würde, daß er ein Vaterlandsverräter ist, der im Interesse ausländischer Mächte agiert.
Und versuchen Sie bitte auch Ihre Überredungskünste spielen zu lassen, um zu verhindern, daß einer der teilnehmenden Sozialwissenschaftler sich auffällig interessiert zeigt an dem Schicksal seiner Kollegen vom „Zentrum für Amerika-Studien“ oder einer der anderen Institutionen, die kürzlich in Ungnade gefallen sind. Denn dies würde ja den Vorwurf rechtfertigen, daß die Genossen dort sich ideologischer Abweichung schuldig gemacht haben und objektiv dem Feind zuarbeiten, wie es das Politbüro jüngst erkannte.
Es gibt einen grundlegenden Unterschied, was für Deutsche und was für Kubaner Begriffe wie „Nationaler Stolz“, „Patriotismus“ und „Vaterland“ bedeuten. In Ihrem Land klingen diese Worte reaktionär. In meinem hingegen sind sie von unschätzbarem Wert. Deswegen habe ich Ihnen eingangs erklärt, daß es für einen Kubaner mit Selbstachtung das Letzte ist, einen Ausländer zu bitten, auf die Dinge in seinem eigenen Land Einfluß zu nehmen. Ich hoffe, daß Sie meine Worte nicht als eine Einmischung in deutsche Angelegenheiten begreifen, die mir als Kubaner nicht zusteht. Ich muß allerdings auch befürchten, daß diese Zeilen in Kuba – wohin ich ja immer zurückkehre – als Einmischung in kubanische Angelegenheiten angesehen werden könnten, zu der ich als kubanischer Bürger, der auf der Insel lebt, kein Recht habe. Reynaldo Escobar
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