: Keine Geschmacksfrage
■ betr.: „Nur ein harmloser Schnitt“, taz mag vom 22.11. 97, „Beschnei dung: Ein Segen für Frauen?“, Le serinnenbrief von Jutta Oesterle- Schwerin, taz vom 2.12. 97
Daß die Beschneidung von Mädchen, wie sie in verschiedenen Gegenden Afrikas noch praktiziert wird, eine schlimme Menschenrechtsverletzung darstellt und schwerwiegendere Folgen hat als die Beschneidung von Jungen, wie sie aus medizinischen Gründen in Amerika und als Ritual in verschiedenen Religionen durchgeführt wird, steht außer Frage. Daß letztere allerdings keine „Menschenrechtsverletzung“, sondern lediglich eine „Geschmacksfrage“ darstelle, wie Frau Oesterle- Schwerin meint, stößt auf meinen energischen Widerspruch. Als inhaltlichen Grund, der für eine Beschneidung bei Jungen spreche, nennt Frau Oesterle-Schwerin die „hygienische Wirkung“, die den Gebärmutterhalskrebs bei Frauen verhindere. Diesen Umstand sollte man durchaus beachten. Er stellt meiner Meinung nach aber keinesfalls eine Rechtfertigung für den Eingriff dar. Zu dieser Auffassung komme ich auch und gerade, wenn ich vom Verständnis von Menschenrechten und körperlicher Unversehrtheit ausgehe, das die Frauenbewegung vertritt.
In der Frauenbewegung wurde beispielsweise (mit recht) die Zwangssterilisation von behinderten Frauen kritisiert. Auch wenn es angeblich um das „Wohl“ der betroffenen Frauen gehe, so die Kritikerinnen aus der Frauenbewegung, so reiche dies keinesfalls aus als Rechtfertigung für einen unter Zwang vorgenommenen Eingriff. Frauen kritisierten den zu bereitwilligen Griff von Ärzten zum Messer bei Brustkrebs ebenso als Verletzung der körperlichen Unversehrtheit von Frauen wie die ausschließliche Propagierung der Pille als Verhütungsmittel. Nach heute allgemein herrschender Auffassung ist ein operativer ärztlicher Eingriff nur dann zulässig, wenn er dem Wohl der betroffenen Person dient, und auch nur dann, wenn die Person den Eingriff selbst wünscht. Ärzte sind in der Regel gehalten, „sanftere“ Behandlungsmethoden zu versuchen, bevor sie operieren. Das Resultat der Operation sollte in einem angemessenen Verhältnis zu den möglichen Nebenwirkungen stehen. Die Eltern wiederum sind aufgefordert, die körperliche Integrität ihrer Kinder zu achten und zu schützen.
Die Beschneidung von Jungen kann nun fast keines dieser Kriterien erfüllen. Weder ist sie frei von Nebenwirkungen (geht aus dem Artikel im taz mag hervor), noch dient sie vorrangig der Gesundheit des betroffenen Jungen. Die Operation geschieht nicht freiwillig, ist nicht mehr rückgängig zu machen; und ob von einem Respekt der Eltern vor der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes gesprochen werden kann, steht für mich auch sehr in Zweifel.
Würde jemand eine zwangsweise durchgeführte Operation an Mädchen, die erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringt, damit begründen, daß dies später gesundheitliche Vorteile für Männer bringe, würde man ihn zu Recht einer frauenfeindlichen Einstellung bezichtigen. Deshalb denke ich, daß die Stellungnahme der „Terre des Femmes“-Vertreterin gegen die Beschneidung von Jungen richtig ist. Manfred Hübner, Mannheim
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen