: Keine Gerechtigkeit
■ Kunstfehlerprozeß: Keine Chance für den Patienten / Ärzte dürfen draußenbleiben
Gibt es Gerechtigkeit für Christian K.? Christian K. hat versucht, im Gerichtssaal ein Stück vom Leben zurückzuholen, das ihm in den Krankenhäusern abhanden gekommen ist. Eine schreckliche Krankheit, drei schwere Operationen - und am Ende stand die Amputation des linken Beines. Doch Christian K. wird vermutlich keinen Erfolg haben. „Das hat uns sehr betroffen gemacht“, sagt der Richter gestern, aber daß die Ärzte Fehler gemacht hätten, das sei nicht nachweisbar.
Der lange Leidensweg des Christian K. begann 1985, da war er vierzehn Jahre alt. In der Kniekehle des linken Beines zeigte sich eine Schwellung. Ein Weichteil-Tumor, eine Krankheit, die die Lymph- und die Blutbahnen befällt, höchst selten, sagt der Sachverständige. Normalerweise bekommen das Kleinkinder. Ein genetischer Fehler.
In seiner ersten Operation schnitten die Chirurgen im St.-Jürgen-Krankenhaus ein großes Stück aus der Wade. Aber nicht den ganzen Tumor. Warum, darüber kann nur spakuliert werden. Eine Abwägung sei das gewesen, wird der Gerichtsgutachter im Prozeß sagen: Auf der einen Seite das Risiko, der Tumor könne weiterwachsen, auf der anderen Seite hätten die Arztkollegen die Funktionalität des Beines erhalten wollen. Mit dem Tumor hätte ein Teil der Achillessehne und des Unterschenkelmuskels entfernt werden müssen. Der Tumor hat vierzehn Jahre geschlummert, warum sollte er nicht wieder schlummern? Das mögen sich die Mediziner tatsächlich gedacht haben. Aber so genau weiß das niemand, denn in den Akten steht darüber kein Wort. Kein Arzt hat diese Frage je mit Christians Mutter besprochen. Im Prozeß selbst wird die Mutter nicht gefragt, auch Christian nicht, schon gar keiner der behandelnden Ärzte. Verhandelt wird nach Aktenkage und nach den Aussagen eines Gutachters, des zweiten mittlerweile.
Schon im Jahr danach kam die zweite Operation: „Zur Verlängerung der Achillessehne und zur Entfernung des Resttumors“, hieß es in einem Schreiben an den Hausarzt. Als der Junge aus der Narkose erwachte, da war aber nur die Sehne verlängert, den Tumor müsse man weiter beobachten. Bis der Hausarzt Mitte März des kommenden Jahres ein Schwellung am Unterschenkel feststellte. Er schickte Christian K. sofort zur Untersuchung. Doch da war der Computertomograph kaputt. Der nächste Termin war erst Anfang Mai frei, und da ging dann alles ganz schnell. Tumore von der Wadenmitte bis ins Becken, an der Amputation des Beines ging kein Weg vorbei.
Christian K. verklagte die Ärzte. Hat der Resttumor in der Wade das Wachstum im Oberschenkel und in der Hüfte bewirkt: Das kann nicht beantwortet werden, sagte der erste Gutachter, nein, sagt der zweite. Es sei keine Verbindung zwischen dem ersten Tumor und den weiteren feststellbar, und streuen könne der Tumor bei dieser Krankheit nicht. Als der Gutachter das in den Gerichssaal sagt, da entspannt sich das Gericht spürbar.
„Wir sehen keine Haftung bei der Stadtgemeinde“, sagt der Richter. „Gegen solche Gutachter kommt man nicht an“, sagt Anwalt Waldemar Klischies. Er wirft sich noch einmal gegen das drohende Urteil: Weil die Ärzte sich nicht mit dem Patienten beraten haben, liege jetzt die Beweislast bei ihnen. „Hier gab es nicht ein Wort der Erklärung.“ Das Urteil ergeht am 21. Dezember. Jochen Grabler
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