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Keine Freikarten für die Senats-Spezln

■ Bündnis 90/Grüne will dem kostenlosen Kulturgenuß einen Riegel vorschieben / Kultursenat ist da „leidenschaftslos“

Wenn der Sprecher des Bündnis 90/ Grüne, Stefan Noä, mit seiner Freikarte in eine Theaterpremiere geht, trifft er „immer auf dieselbe Truppe“. Ein erlauchter Kreis von Parlamentsmitgliedern und Stadthonoratioren ist zugegen, wenn in der Staatsoper zum ersten Mal in der Saison Wagners „Parsifal“ erklingt, die Deutsche Oper Verdis „Maskenball“ gibt oder Corneilles „Cid“ am Deutschen Theater inszeniert wird.

Es ist nicht nur der Kunstgenuß allein, der Berlins Politiker und Prominente in die Zuschauerräume treibt. Der wird ihnen zudem durch einen großzügigen Erlaß des Preises versüßt.

Am Theaterbesuch zum Nulltarif können sich sowohl die Mitglieder des Haupt-, des Kulturausschusses und des Senats als auch die Stadtältesten, jeweils mit Begleitperson, erfreuen. Und wer mal keine Zeit oder Lust hat, gibt seine Freikarte einfach an Freunde weiter. 67 Namen umfaßt eine zwischen Senat und Abgeordnetenhaus abgestimmte Liste von einzuladenden Politikern und Ehrengästen. Hinzu kommen noch die „Gäste des Hauses“, denen die Musik- und Theaterbühnen von sich aus einen kostenlosen Eintritt gewähren. So kommt eine stattliche Runde von Freikarten-Gängern zusammen. 1991 wurden knapp 19.000 Billets zum Nulltarif vergeben. An der Deutschen Oper kam jeder fünfte Musikfreund zu einem kostenlosen Premierenabend, an der Volksbühne waren es 60 und am Deutschen Theater sogar 70 Prozent.

Das Bündnis 90/Grüne will diesen Privilegien nun den Garaus bereiten und findet dabei Unterstützung von ganz ungewohnter Seite. Auch Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU), versichert sein Sprecher Steffen Kammradt, „lehnt Freikarten grundsätzlich ab“. Kultur müsse allen zugänglich sein. Dieser Zugang war zuletzt bei der „Parsifal“-Premiere drastisch eingeschränkt. Lediglich 216 von 1.400 Karten kamen in den freien Verkauf. Allerdings, so relativiert der Sprecher der Kulturverwaltung, Rainer Klemke, sei ein Großteil der Karten an Theater- und touristische Organisationen gegangen. Zudem ergebe der ausschließliche Blick auf die Premieren ein schiefes Bild von der Bedeutung der Freikarten. Insgesamt machten sie nur 2 Prozent der Karten aus. Der kostenlose Zutritt zu den staatlich subventionierten Bühnen schlage in den Haushalts- Kalkulationen mit „maximal einer Million Mark im Jahr“ zu Buche. Hauptnutznießer des kostenlosen Zutritts seien zudem Feuilletonjournalisten. An die schätzungsweise 300 Kulturschreiber in der Stadt gingen 95 Prozent der Freikarten. Für Klemke eine gute Berlin-Werbung. Besser könne die Stadt ihr Geld nicht anlegen.

Den Journalisten wollen auch die Grünen nicht ans Portemonnaie. Sie haben nun beantragt, daß die Liste der Freikarten-Empfänger um „jederlei Honoratioren, Hofschranzen und Senats-Spezln“ reduziert werden soll. Lediglich die kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen und die Mitglieder des Unterausschusses Theater sollen noch das Privileg genießen. Über seine entsprechenden Bemühungen soll der Senat bis zum Juli berichten. Von ihm dürfte kein hinhaltender Widerstand gegen die Initiative zu erwarten sein. „Da sind wir“, so Klemke, „leidenschaftslos.“ Dieter Rulff

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