: Keine Extrawurst für die Aidskranken
■ Rudolf-Virchow-Klinikum: Noch immer bekommen Aids-Patienten keine psychosoziale Hilfe/ Stationsleiter Pohle hält dies für unnötig/ Morgen Demo
West-Berlin. Den Aidskranken und Positiven West-Berlins reicht es jetzt: ihrem Ärger über die mangelhafte psychosoziale Betreuung im Universitätskrankenhaus Rudolf Virchow (RVK) wollen sie morgen laut Luft machen. Um 14 Uhr werden die »Arbeitsgemeinschaft Berliner Positive« (AGBplus) und die Berliner Aids-Hilfe mit einem Happening vor dem Krankenhaus im Wedding protestieren. Hintergrund: Die Kooperation des RVK mit Aids-Selbsthilfegruppen und die psychosoziale Versorgung dort sind immer noch denkbar schlecht. Vom Leiter der 2. Inneren Abteilung, Professor Hans- Dieter Pohle, wird den Helfern und Betreuern in der Regel der Zugang verweigert. Laut Aids-Hilfe weisen »viele anerkannte Ärzte schon seit langem keine Patienten mehr« in das RVK ein. »Viele Betroffene meiden dieses Krankenhaus.«
Wie die taz bereits vor einem Jahr berichtete, wird auch der Umgang mit den Kranken auf der Station von Betroffenen und ihren behandelnden Hausärzten kritisiert. Von einem »möglichst reibungslosen Dienstverlauf statt eines Eingehens auf die Patienten« und »anti-schwulen Ressentiments« war die Rede. Professor Pohle wurden damals nach heftiger Kritik der AL und der Berliner Aids- Hilfe 80.000 von 300.000 Mark an zusätzlichen Senatsmitteln (für politische Beratung, Dokumentation und Weiterbildung von Pflegern) aus dem Haushalt 1990 gestrichen. Das Abgeordnetenhaus forderte die Sozialsenatorin Stahmer bereits am 8.Dezember 1989 auf, ein Konzept zur Verbesserung der psychosozialen Betreuung im RVK vorzulegen.
Ein Bericht des Senats hierzu wurde erst Ende August dieses Jahres veröffentlicht. Er beruht allerdings in weiten Teilen auf einem Brief Prof. Pohles an die Sozialsenatorin (s. Kommentar). Stahmer sieht in ihrem Bericht »wesentliche Verbesserungen« durch die Einrichtung einer »teilstationären Tagesklinik« am RVK im Februar. Erfahrungswerte mit der Tagesklinik könnten allerdings »wegen der vor kurzem erfolgten Inbetriebnahme noch nicht vorliegen«. Ansonsten werde am RVK eine »gleichberechtigte Betreuung aller Patienten angestrebt«, eine »Heraushebung von Patienten mit HIV-assoziierten Erkrankungen nicht für förderlich gehalten«.
Nach Auffassung der Berliner Aids-Hilfe, der AGBplus und des schwulen Abgeordneten Dieter Telge (AL) kann jedoch von wesentlichen Verbesserungen der psychosozialen Betreuung am RVK keine Rede sein. Sie kritisieren gerade die im Bericht betonte »gleichberechtigte Versorgung« von Aids-Patienten und Patienten mit anderen Krankheiten. Wie es in einer Stellungnahme der Aids-Hilfe heißt, könne »angesichts der allgemein üblichen psychosozialen Nicht-Versorgung in Krankenhäusern« diese Bemerkung nur folgendermaßen interpretiert werden: »Keine psychosoziale Versorgung für niemand«. Das RVK weigere sich aber nach wie vor, ein »höheres Engagement im Bereich psychosozialer Betreuung« zu leisten, wie es im Auguste-Victoria- Krankenhaus und dem Klinikum Steglitz üblich sei. Hier werde erfolgreich mit den Selbsthilfegruppen zusammengearbeitet.
Telge schreibt in einer Anfrage an den Senat, daß im Stahmer-Bericht »weder das erwünschte Konzept noch die erforderliche Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Selbsthilfeprojekten« enthalten sei. Gegenüber der taz forderte Telge, Pohle entweder die im Haushalt wieder vorgesehenen 220.000 Mark Zusatzmittel zu streichen — oder sie »mit Auflagen zu verbinden«. Sozialsenatorin Stahmer wollte gegenüber der taz eine solche Verbindung nicht ziehen. Der Haushaltsansatz habe »mit Professor Pohles Betreuung nichts zu tun«. Ein »Abstrafen durch Abzüge« werde es nicht geben. Pohle selbst wollte gestern gegenüber der taz zu den erneuten Vorwürfen keine Stellung nehmen. kotte
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