piwik no script img

„Keine-Experimente“-Grog

■ Kampnagel präsentiert ab Dienstag zum neunten Mal sein Kabarettfestival

Seit bald zehn Jahren gibt es auf Kampnagel einmal im Jahr Satirefestspielwochen. Die paar Jahre noch heißt vom 6. Juni an das offizielle Motto des 9. Kabarettfestivals. Insgeheim aber – als Tiefenstruktur sozusagen – scheint das Motto, unter dem Festival-Leiter Ulrich Waller das Programm zusammengestellt hat, „keine Experimente“ zu sein.

Hauptsächlich bewährte Kräfte, die in den vergangenen Jahren schon erfolgreich bei den Kabarett Festspielen zu Gast waren, werden auch 1995 die Hamburger Satireliebhaber und -freundinnen zum Lachen und Nachdenken bringen. In Anlehnung an das traditionelle Grog-Rezept „Rum muß, Zucker kann, Wasser brauch' nich'“ dürfen Frauen und Nachwuchskünstler immerhin ein bißchen mitspielen, während für die Kollegen Ossis der Soda-Part in diesem Satire-Cocktail reserviert ist.

Den Anfang macht am Dienstag Mathias Richling mit seinem Programm Wer einmal lügt, dem Richling. In einer apokalyptischen Landschaft aus Holzstämmen, Ventilator und Fantasy-Kran schieben sich die Bürger verschiedener deutscher Provinzen gegenseitig die Schuld am Zustand der Welt zu. Mit Georg Schramm schickt das Musterländle im Südwesten der Republik noch einen zweiten Beißer in den Ring. Als Schlachtenbummler verbringt er seinen Urlaub im „Reality-Tour-Camp“, immer in der Nähe von Bundeswehrlagern im Out-of-Area-Einsatz.

Aus der Hauptstadt der melancholischen Spötter, aus Wien, reist ein Triumvirat an: Werner Schneyder präsentiert mit Abschiedsabend sein letztes komplett neu geschriebenes Programm. Von seinem Indien-Trip zurück, gibt Josef Harder sich in Hamburg ganz Privat und erzählt seine Geschichte von den Anfängen als „Waldbauernbub“ bis heute, wo er seine „größten Erfolge“ feiert. Und auch Andreas Vitásek ist in seiner Bilanz irgendwie sich selbst auf der Spur.

Später am Abend, ab halb elf, wenn die lieben Kleinen schlafen und auch bei den Pflegebedürftigen die Schlaftablette schon wirkt, können Mutti, Papi und die Nachtschwester sich im Latenight-Block amüsieren. Wiglaf Droste spricht jungen Eltern aus dem Herzen mit seinem Lamento über Die schweren Jahre ab 33. Matthias Beltz und Jazzer Rüdiger Carl wollten mit ihrem Musikalkabarett Hundert – Zwei Mann und ein Befehl mal neue Formen ausprobieren. Da trällert doch prompt Michael Quast Unter Geiern Lovesongs dazwischen.

Die Quotenfrauen geben in diesem Jahr die Missfits mit ihrer neusten Gerontosatire Wo niemand wartet. Und dann gibt es auch noch den Nachwuchsabend der Gipfelstürmer. Da bekommen dann auch Hamburger Kabarettisten, die unter 21 Kabarettveranstaltungen, die hier nicht alle einzeln genannt werden können, ansonsten nicht vorkommen, ausnahmsweise ihre Chance. Iris Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen