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Keine Chance für die Türkei

■ Die EG bleibt auch angesichts der Golfkrise hart gegen Özal

EG-Beitritt der Türkei? Geflissentlich vermeiden die Eurokraten in Brüssel dieses ungeliebte Thema, das im Zuge der Golfkrise wieder an Aktualität gewonnen hat. Schließlich ist die strategische Bedeutung des östlichen Nato-Verbündeten in den letzten zwei Monaten enorm gestiegen, wie die US-Regierung nicht müde wird zu betonen. Die Türkei grenzt nicht nur an die Sowjetunion, sondern — was jetzt viel bedeutsamer ist — an Syrien, den Iran und den Irak. Dabei kommt dem Land am Bosporus eine doppelte Funktion zu: als potentielles Aufmarschgebiet der alliierten Truppen gegen den Irak, aber auch als Modell eines „modernen moslemischen Landes, demokratisch, säkular und freihändlerisch“, wie es das 'Wallstreet Journal‘ formulierte.

Auch wenn der türkische Präsident Özal deswegen die Beitrittschancen seines Landes zur EG steigen sieht, die Eurokraten scheinen bislang von der neugewonnenen Bedeutung der Türkei wenig beeindruckt zu sein. Knapp zwei Monate nach Beginn des Golfkonflikts wiederholen sie ihre Abwehrformel: Die Türkei sei wirtschaftlich und menschenrechtlich zu rückständig, um in die EG aufgenommen werden zu können. Immerhin soll jedoch die nach dem Militärputsch 1980 eingefrorene Finanzhilfe in Höhe von 1,2 Milliarden DM aufgetaut werden. Bislang scheiterte jeder Versuch in diese Richtung am Widerstand des EG-Mitglieds Griechenland, das erst die Zypernfrage in seinem Sinne gelöst haben möchte.

Ob sich die Haltung der griechischen Regierung im Zuge der Golfkrise verändert hat, ist unklar. Sie sperrt sich jedenfalls nicht gegen die EG-Initiative, dem traditionellen Erzfeind zusammen mit den zwei anderen vom Golfkonflikt am stärksten betroffenen Länder Ägypten und Jordanien eine Soforthilfe anzubieten. Drei Milliarden DM in Krediten und Anleihen sollen die drei Länder nach den Vorstellungen der EG-Kommission bis Ende 1991 erhalten, wobei eine Hälfte aus dem Topf der EG, die andere Hälfte von den Mitgliedsstaaten kommen soll. Über die Aufteilung an die drei Länder gibt es noch keine Details. Voraussichtlich am Donnerstag werden die EG-Außenminister am Rande der UN-Vollversammlung in New York über den endgültigen Betrag entscheiden.

Neben finanzieller Soforthilfe, so Özal letzte Woche, sollte die EG auch die Mengenbeschränkung für den Import türkischer Textilien in die EG aufheben. Dieses Ansinnen stößt in Brüssel allerdings auf völlig taube Ohren. Ein weiteres Zugeständnis an die türkische Textilindustrie, so fürchtet man, würde eine Flut ähnlicher Forderungen anderer Textilproduzenten wie zum Beispiel Indien nach sich ziehen. Gleichzeitig, so die Klage aus Brüssel, würde die türkische Regierung die im 1963 ausgehandelten Assoziationsabkommen mit der EG verabredete Zollunion durch Handelshemmnisse unterlaufen. Mit der Zollunion, die bis 1995 verwirklicht werden soll, wird sich Özal also vorläufig zufriedengeben müssen. Denn in der EG scheint selbst die Warnung der US-Amerikaner ohne Nachhall zu bleiben: daß islamische Fundamentalisten auch die Türkei übernehmen könnten, wenn die EG sich nicht stärker in dem wirtschaftlich angeschlagenen Land engagiert. Michael Bullard

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