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Keine Bundesjugendspiele

E.T.A. Hoffmann, Pablo Picasso und deutsche Country-Musik: Die Band Fink und ihr malender Sänger Nils Koppruch  ■ Von Felix Bayer

Popmusik bietet halt eine große Projektionsfläche“, sinniert Nils Koppruch, „wir sitzen jetzt hier in meinem feudalen Garten, das wollen die Leute doch sehen.“ Tatsächlich, der Garten, in dem der Sänger der Hamburger Country-oder-doch-nicht-Country-Band Fink seine Gäste empfängt, ist eine Überraschung: „Eine grüne Oase inmitten des bei Tag so grauen St. Pauli“, würde er vielleicht in einem Reiseführer beschrieben sein.

Aber so berühmt sind Fink nun doch noch nicht. Da darf man guten Gewissens nach dem Lebensunterhalt fragen. Nils Koppruch bestreitet den seinen mit den Einnahmen aus der Musik und der Malerei, die er unter dem Namen Sam produziert. Die Bilder stellt er in einem kleinen Ladenraum in der Simon-von-Utrecht-Straße aus, in dessen etwas feuchtem Kellergang er sie auch herstellt. Man kann davon leben. „Naja, es ist schwierig. Aber das ist ja Jammerkram. Man muß sich eben irgendwann entscheiden, ob man mit Musik Lotto spielt oder mit Kunst Lotto spielt. Und wenn ich nicht so viel für meinen Garten ausgegeben hätte, ginge es mir blendend.“ Einen interessanten Spielschein hat auch Fink-Schlagzeuger Hauke Evers abgegeben. Er kauft beim Schrotthöker alte Autositze und baut daraus Sessel, „luxuriöse Popsessel“, wie Koppruch sagt.

Hauke Evers war auch der Grund, warum Fink die Aufgabe eines Prinzips aufgaben. Nach der Auflösung der traditionellen Countryband Tex Fury & His Silver Spurs hatten Koppruch und Gitarrist Thorsten Carstens die Nase voll davon, in Bands zu spielen. Also dachten sie sich: „Wir setzen uns zu zweit auf die Bühne und lassen uns auslachen. Das hat auch ganz gut funktioniert. Die Leute haben gelacht.“ Doch bald kam Evers, früher Gitarrist bei Huah!, hinzu. Qualifiziert für den Schlagzeugjob bei Fink war er, weil er noch nie getrommelt hatte: „Wir brauchen ja nur hier ein Rascheln und da ein Tuscheln.“ Inzwischen gehört mit Andreas Voß auch ein Bassist fest dazu, Fink sind heute eine Band. Eine, die mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums Vogelbeobachtung im Winter im letzten Jahr Diskussionen darüber auslöste, ob es so etwas wie „deutschen Country“ diesseits von Truck Stop geben kann. Koppruch beschreibt sein Verhältnis zur US-Volksmusik als ein „forschendes“. Es ist ihm wichtig, Lieder im Konzert mit großem Ernst vorzutragen. Lieder, die ganz reduziert klingen und deshalb den Texten Raum geben.

In denen spricht meist ein Ich-Erzähler, hinter dem man aber natürlich nicht Koppruch vermuten sollte: „In der Erzählung ,Des Vetters Eckfenster' von E.T.A. Hoffmann sitzen zwei Leute am Fenster und beobachten einen Markt. Der eine erklärt, was da unten gerade passiert, und der andere findet es plausibel. Doch dann sagt der erste, das war gelogen. In Wirklichkeit ist etwas ganz anderes passiert. So ist das auch in den Texten: Ich kann Sachen beobachten und bewerte sie. Wenn ich ein Gefühl beschreibe, dann ist das etwas mir Bekanntes. Aber es ist nicht meine private Geschichte.“ Das erinnert an Robert Musils Möglichkeitssinn: „So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“

Das dieser Tage erschienene zweite Album heißt Loch in der Welt. „Das Loch beschreibt eine Leerstelle. Der Mensch will immer Leerstellen zustopfen. Ich muß mich dann aber nicht hinstellen und sagen: Das ist die Erklärung. Die Platte beschäftigt sich damit, daß die Sicherheit, die sich die Protagonisten schaffen, nur so lala ist. Und ob es nicht die Möglichkeit gebe, in diesem Bewußtsein zu leben.“

Fink schaffen also Kunst, aber alles Genialische liegt ihnen fern: „Wenn Blumfelds Jochen Distelmeyer, großer Liedermacher, der er ist, vier Jahre braucht, um auf dem neuesten Stand des Diskurses zu sein, um eine neue Platte zu machen, dann ist mir das sehr fremd. Da habe ich die Idee, daß die antreten, um unbedingt einen wichtigen Beitrag leisten zu müssen. Aber ich glaube nicht, daß Picasso morgens aufgestanden ist und gedacht hat: ,Ich muß am Kubismus arbeiten.' Der sagte nicht: ,Ich leiste jetzt einen wichtigen Beitrag zur Kunst.' Deswegen behaupte ich sowas erst gar nicht. Natürlich ist etwas ein großes Kunstwerk, wenn es ihm gelingt, einen Beitrag zu leisten. Aber wenn nicht, dann habe ich eben Pech gehabt. Wir haben unser Bestes gegeben, und das sind ja hier keine Bundesjugendspiele, wo man unbedingt der Erste sein muß.“ Aber auf das olympische Prinzip „Dabeisein ist alles“ brauchen Fink sich auch nicht reduzieren zu lassen. Ihre glänzend formulierten Erzählungen strahlen unaufdringlich Weisheit aus, und deren Autor mag bescheidener sein als andere – weniger zu sagen hat er nicht.

Dann räumen wir die Plastikstühle zusammen, und Nils Koppruch hat noch eine Bitte: „Kannst du bitte die Zigarettenkippen vom Rasen aufsammeln? Sonst regt sich der Vermieter wieder so auf.“ So feudal ist das hier.

Fink spielen Mittwoch, den 12. August beim Braut-Benefiz in der Markthalle und Sonnabend, den 29. August in der Roten Flora. In unserer Reihe „Hamburger Profile“ lesen Sie am Donnerstag: DM Bob.

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