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Keine Angst vorm weißen Mann

■ Vorlesungen zum täglichen Überleben an der Leipziger Universität / Ausländerfeindlichkeit hat sich seit dem Herbst erschreckend verschärft / Projektgruppe „Ausländerintegration“ an der Uni gebildet

Es geht nicht darum, Angst zu schüren oder das Problem zu dramatisieren. Daß es auch in unserem Land Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung von Ausländern gibt, ist Tatsache. Aber wie geht man um mit der Angst der Betroffenen einerseits und der wachsenden Aggressivität innerhalb der Gesellschaft andererseits? Berührungsängste müssen abgebaut werden. Sensibler Umgang miteinander auf allen Seiten ist notwendig.

Als der Leipziger Kripo-Chef Wolfgang Issleib, Dienstgrad Oberstleutnant, vor zwei Wochen ans Rednerpult eines Hörsaales in der Karl-Marx-Universität trat, konnte er gar nicht den Erwartungen seiner Zuhörerschaft entsprechen.

Im Auditorium drängten sich mehr als dreihundert Studenten, darunter etwa zwanzig Deutsche. Eingeladen hatte das Internationale Studentenkomitee (ISK) der KMU, die von den ausländischen Kommilitonen gewählte Interessenvertretung. „Es geht um die Sicherheit der Ausländer“, stand auf Plakaten, die den Abend ankündigten. Oder: „Der Chef der Leipziger Kriminalpolizei belehrt über Maßnahmen zum Schutz des persönlichen Lebens“ - frohe Botschaft vom Endsieg der Zivilisation; im Hörsaal Vorlesungen zum täglichen Überleben anstatt zur Philosophie.

Viele Ausländer kamen, weil ihre Angst in den letzten Wochen zugenommen hat. Und es passierte, was man hätte wissen müssen: Der Auftritt eines Kriminalpolizisten konnte gegen diese Angst überhaupt nichts ausrichten. Die Geschichte der Angst

„Herr Issleib trägt nicht allein die Schuld daran. Denn die Angst hat ihre Geschichte. Dazu der achtundzwanzigjährige Idrissa Embal'o aus Guninea-Bissau, der in Leipzig Tropische Landwirtschaft studiert: „Ich bin seit 1986 hier und habe häufig Ablehnung gespürt, aber das war selten offen.“ Er meint selbst, daß Äußerungen von Ausländerfeindlichkeit ja schließlich „unterdrückt“ wurden und daher nur unterschwellig spürbar waren. Und er fügt hinzu: „In der letzten Zeit ist es schlimmer geworden.“

Das sagen alle, ob Ausländer, deutsche Mulatten oder Sozialwissenschaftler. Die Verschärfung der Situation seit Herbst sei erschreckend. Ab November war plötzlich die öffentliche Artikulation all dessen möglich, was vorher keine Öffentlichkeit hatte. Artikulation gegen Schwarz, Gelb, Braun, gegen Slawen und Juden fand sehr schnell im Chor und im Gleichschritt statt. Die Anonymität der Leipziger Montagsdemo machte es möglich. Anfang des Jahres dann die ersten Ausschreitungen vor den Cafes, in denen man Schwarz, Gelb und Braun häufiger sieht. Die dabei sichtbar gewordene Bereitschaft zum Radikalismus und die daraus erwachsende Unberechenbarkeit der Gefahr für sich selbst, haben bei den Betroffenen zu Verunsicherungen geführt, die nicht mehr einfach wegzureden sind. Landeskunde bei der Kripo

Genau das aber schien Anliegen des Hörsaaltreffens zu sein. Natürlich war es zu kurz gegriffen, die Nöte der Ausländer nur mit der Polizei besprechen zu wollen, weil diese die Probleme nicht lösen kann. Oberstleutnant Issleib tat nun allerdings einiges, um seine Zuhörer weiter zu verunsichern. Kein

Wort von dem, was denen in den Bänken zumindestens die Hoffnung auf ihre tägliche Sicherheit gegeben hätte, kein Wort von dem, was Hauptmann Heinz Werner, Vize der Leipziger Schutzpolizei, uns später draußen erzählte. Von den verstärkten Streifen im Stadtgebiet, besonders in der Nähe der Ausländerwohnheime, und den zivilen Polizeiwagen, die man aus Nasi-Beständen übernahm und jetzt vorrangig durch die als gefährlich erscheinenden Ecken schicken will.

Stattdessen ein dreißigminütiger Landeskundevortrag im wußten-Sie-schon-Stil, bei dem man unter anderem erfuhr, daß Leipzig an einem Stichtag im vorigen Dezember genau 530.010 Einwohner hatte, oder daß Europas größten Sackbahnhof jeden Tag 250.000 Reisende passieren.

Oberstleutnant Issleib schloß freilich nicht aus, daß als Folge der gegenwärtig unklaren gesellschaftlichen Situation in verschiedenen Formen Ausländerfeindlichkeit geäußert wird, wobei sich eine verstärkte Aggressivität nicht nur gegen die Ausländer richte, sondern auch Meinungsverschiedenheiten unter Deutschen jetzt radikaler ausgetragen würden. Das habe man ermittelt, indem man „Zeugenaussagen realisierte“. Als ob das seit November/Dezember nicht täglich auf der Staße zu beobachten wäre. Schließlich widmete er sich dem Sturm auf die Uni -Mensa nach der Kohl-Wahlkundgebung im März, bei dem nach Auseinandersetzungen zwischen Leipziger Linken und Rechten letztendlich auch unbeteiligte Ausländer Opfer der Randale wurden.

Und dann das Thema, das Leipzig seit dem Wahlsonntag beschäftigt. Damals war es in einer Straßenbahn zu einer Drängelei gekommen, nach dem Aussteigen zu einer Prügelei. Beteiligte sagten später aus, es sei ein Ausländer gewesen, der in Bedrängnis ein Messer zog, einen Leipziger erstach und floh. Der Fall ist noch nicht aufgeklärt. Aber inzwischen wird der 25jährige Amar Salame von der Polizei gesucht.

Dieser Fall nährte in Leipzignicht nur das finstere Gerücht, Skinheads und Ausländer hätten sich irgendwo eine blutige Schlacht geliefert. Er hatte außerdem für erhebliche Unruhe unter ausländischen Studenten gesorgt, nachdem ISK und Studentenrat der KMU gemeinsam ein Rundschreiben unter die Leute gebracht hatten. Darin hieß es, Ausländer müßten sich jetzt stets so verhalten, daß sie niemanden provozierten, denn es könne möglicherweise als Reaktion auf die entstandenen Gerüchte zu Pogromstimmungen unter deutschen Jugendlichen kommen. Diese Ungeschicklichkeit hatte nicht nur Verunsicherung, sondern auch Verärgerung unter Ausländern hervorgerufen, die solch eine Art der Einstellung auf die neue Situation als unangebracht und erniedrigend empfanden. Hier zeigte sich, daß man mit den Ängsten, die von

neuen Zeiten in Deutschland ausgehen, noch nicht umgehen kann.

Herr Issleib konnte das in seinem Vortrag auch nicht. Er verkündete nämlich, die Polizei würde auch weiterhin die Sicherheit eines jeden Bürgers, auch jedes ausländischen, garantieren. Die Reaktionen des „Publikums“ reichten von offenem Hohn über Verständnislosigkeit bis zur Resignation. Zu stark war da die Reibung mit den persönlichen Erlebnissen der letzten Wochen. Von seinem Standpunkt aus mochte der Kripomann recht haben: Er kann nur mit dem arbeiten, was in der Statistik steht - ihm lagen für den Zeitraum Oktober '89 bis März '90 113 Anzeigen durch ausländische Bürger, davon 98 Prozent wegen Diebstahl, 2 Prozent wegen Körperverletzung vor. Nach Prüfung der Fälle blieb nicht ein strafrechtlich zu verfolgender übrig.

In der Statistik steht nur, was gemeldet wird. Wie aber soll man das anzeigen, was wirklich Angst macht? Drohrufe oder Sprechchöre vor den Türen der Wohnheime. Schmierereien an den Häuserwänden oder Pöbeleien auf der Straße.

Nach dem Vortrag des Herrn Issleib: Draußen vor dem Hörsaal nur bedrückte und verärgerte Mienen. Wer von den Anwesenden vorher keine Angstgefühle kannte, hat sie wahrscheinlich an jenem Abend bekommen.

Integration als Lösung

Aber wie bewältigt man diese nun wirklich? Das riesige Defizit in Sachen Ausländerpolitik aufzuarbeiten, ist Ziel der Projektgruppe „Ausländerintegration“ an der KMU. Die zwölf Mitarbeiter der Sektion „Gesellschaftstheorien“ um die Leiterin Dr. Ursula Ueberschär sehen drei Aufgaben: 1. Forschung und Politikberatung, 2. Aufbau eines akademischen Beratungsdienstes, verbunden mit empirischer Forschung und 3. speziell auf Ausländer zugeschnittene Studienangebote im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.

Da es offiziell keine Probleme mit und durch Ausländer gab, existierte hierzu praktisch keine Forschung. Bereits vorsichtige soziologische Untersuchungen wie die des Leipziger Zentralinstitutsfür Jugendforschung, wurden auf Eis gelegt. Stattdessen triumphierten staatlich verordneter Internationalismus und Spendenmarken über Solidaritätsbewußtsein.

Dr. Michael Werner aus der Projektgruppe meint: „Das soziale Umfeld für den Einsatz von Ausländern als Arbeitskräfte in der DDR war denkbar ungünstig.“ Ahnungslosigkeit benennt wohl nur zurückhaltend den Zustand aller Beteiligten. Per Regierungsbeschluß kamen seit Mitte der 70er Jahre zehntausende Unbekannte in ein ihnen unbekanntes Land. Völlig unzureichende Informationen über Gast- und Heimatländer verstärkten die bewußt herbeigeführte Isolation. Eine Isolation, die dem DDR-Bürger selbst ja quasi wesenseigen war.

Integration war offensichtlich überhaupt nicht vorgesehen. Ein Hintergedanke dabei war, so den Schwierigkeiten unserer westlichen Nachbarn auszuweichen. Heute ist die Projektgruppe froh, zahlreiche Erfahrungen ähnlicher Forschungsgruppen und Institute in der Bundesrepublik nutzen zu können. Inzwischen hat man mit den Beratungsdiensten eine längst notwendige Einrichtung geschaffen, die wohl weit nützlicher ist, als eine „Polizeisprechstunde“ im Hörsaal. Innerhalb eines knappen Monats fanden über sechzig Ratsuchende mit verschiedensten Anliegen hierher. Demnächst sollen Vorträge von Psychologen und Juristen das Programm erweitern. In dem Maße, wie sich die Situation in bezug auf die Ausländer verschärft, finden sich auch immer mehr Menschen bereit, zu helfen und aufzuklären. So hat sich in Leipzig die Kommission 22 des Runden Tisches konstituiert, die sich mit Ausländerfragen befaßt. Ihr gehören Mitglieder unterschiedlicher Parteien und Organisationen, sowie des Studentenrates und der Kirche an. Kommen können auch jene, die mit Ausländern verheiratet sind. Im Prinzip kann jeder kommen - so makaber es klingt, Leipzig lernt mit der Angst zu leben.

Beate Nietsch/ Martin Fiedler

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