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Kein Vetorecht

betr.: „Vermeintlich linke Richter akzeptiert“ (Bundesrichterwahl), taz vom 1. 3. 01

Im Übrigen hat der Präsidialrat das Recht, eine Stellungnahme zur Eignung abzugeben. Keinesfalls hat er ein Vetorecht. Die Mütter und Väter der Grundgesetzes haben aus gutem Grunde die Verantwortlichkeiten so verteilt, dass der demokratisch legitimierte Richterwahlausschuss (und damit ein Verfassungsorgan) entscheidet, dem unter Vorsitz der Bundesministerin für Justiz die 16 Justizministerinnen und -minister oder Senatoren der Länder und eine gleiche Anzahl vom Deutschen Bundestag gewählter Mitglieder angehören. Der plural zusammengesetzte Ausschuss soll Pluralität der Richterschaft verbürgen und Selbstergänzung (Kooptation) und Einseitigkeit verhindern. Gerade auf Letzteres liefe aber, wie der vorliegende Streitfall zeigt, der Wunsch des Präsidialrates beim BGH hinaus, seinem Votum eine Sperrwirkung zukommen zu lassen.

Bedauerlich ist, dass mit der – fachlich unhaltbaren – negativen Stellungnahme des Präsidialrats beim BGH ein Internum aus der Personalakte des Herrn Neskovic (und ebenso der Frau Kollegin Vezina) ohne Einwilligung der Betroffenen und damit unter Verstoß gegen Bestimmungen des Datenschutzes in die Öffentlichkeit gebracht wurde, und dies ersichtlich durch einen Justizminister, der zur Fürsorge und zur Wahrung des Rechts verpflichtet ist.

Die gegen Herrn Neskovic (und auch Frau Vezina) geführte Kampagne erinnert in bedrückender Weise an vergleichbare Kampagnen zur Zeit der Weimarer Republik.

Bekanntlich war die Justiz der Weimarer Republik alles andere als demokratie- und republikfreundlich. In den wenigen Ausnahmefällen, in denen prominente Vertreter der demokratischen Richterschaft (insbesondere aktive Mitglieder des Republikanischen Richterbundes) in herausragende Richterämter ernannt wurden, setzte jeweils eine Diffamierungskampagne ein. Die bekanntesten Fälle sind diejenigen bei der Ernennung des Richters am Preußischen OVG Kroner, des Senatspräsidenten am Kammergericht Freymuth und des einzigen Sozialdemokraten am Reichsgericht Grossmann.

Wer gedacht hatte, die Zeiten solcher Kampagnen seien in einer gefestigten demokratischen Gesellschaft und bei einer Rechtslage, in der die außerdienstliche Betätigung als Staatsbürger für Richter eine vom Gesetz geachtete Selbstverständlichkeit ist (vgl. § 39 des Deutschen Richtergesetzes) vorbei, hat sich geirrt.

HANS-ERNST BÖTTCHER,

Der Präsident des Landgerichts Lübeck

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