: Kein Titel für unbequeme Pfarrerin
■ Rheinische Landeskirche erkennt engagierter Umweltschützerin Pastorentitel ab / Chemie-Gigant Bayer beschwerte sich bei Kirchenleitung / Ist die Kirche durch Wirtschaftskreise und Konzerne erpreßbar?
Kein Titel für unbequeme Pfarrerin
Rheinische Landeskirche erkennt engagierter Umweltschützerin Pastorentitel ab / Chemie-Gigant Bayer beschwerte sich bei Kirchenleitung / Ist die Kirche durch Wirtschaftskreise und Konzerne erpreßbar?
Aus Düsseldorf J.Nitschmann
Für die Solinger Pastorin FriedelGeisler (58) besteht keinerlei Zweifel: Mit der Aberkennung ihres Pastorinnentitels durch die rheinische Landeskirche soll sie für ihr öffentliches Engagement als Umweltschützerin und ihre Kampagnen gegen den Chemieriesen „Bayer“ büßen.
Seit ihrer Ordination vor elf Jahren wird Frau Geisler im aktuellen Gemeindeverzeichnis der Evangelischen Landeskirche ebenso als Pastorin geführt wie in ihrem Dienstvertrag bei der kirchlichen Jugend- und Drogenberatungsstelle in Solingen, deren Leiterin die 58jährige Pastorin ist. Jetzt soll die Ordination ein formaler Irrtum gewesen sein. Im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit ihrem kirchlichen Arbeitgeber stellte der Solinger Synodalvorstand zu der Aberkennung des Pastorinnentitels für Frau Geisler fest, “ daß die rechtlichen Voraussetzungen für die Führung des Titels Pastorin nicht gegeben sind“, „die Bezeichnung Pastorin erfolgte irrtümlich.“ Der Titel Pfarrerin, meint das Landeskirchenamt (LKA), stünde Frau Geisler aufgrund der von ihr ausgeübten Tätigkeit im Grunde nicht zu.
An einen solchen Irrtum mag die Solinger Pastorin freilich nicht glauben. Für sie geht es bei der Auseinandersetzung um ihre Dienstbezeichnung „letztlich um die Frage, inwieweit die rheinische Landeskirche erpreßbar sein darf durch Wirtschaftskreise und Konzerne, die einen namhaften Anteil der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens stellen.“
Den Bossen des Bayer-Konzerns ist die im Umweltschutz engagierte Pastorin seit Jahren ein Dorn im Auge. Als eine der SprecherInnen der „Koordination gegen Bayer-Gefahren“ hat die Pastorin dem Konzern häufig öffentlich ins Gewissen geredet, auf Hauptversammlungen hat sie „als kritische Aktionärin“ dem Bayer- Vorstand wegen seiner gewissenlosen Geschäftspolitik zu Lasten der Umwelt und der „Dritten Welt“ häufig die Leviten gelesen. Die Beschwerden von Bayer gegen diese unbotmäßige Botschafterin Gottes bei der Kirchenleitung ließen denn auch nicht lange auf sich warten.
Immerhin räumt selbst der für den Entzug der Dienstbezeichnung mitverantwortliche Synodalvorstand des Kirchenkreises Solingen ein: „Zu weiteren Konflikten kam es dadurch, daß Frau Geisler außerhalb ihres eng umgrenzten seelsorgerischen Tätigkeitsbereichs von dem ihr gewährten Anrederecht Pastorin Gebrauch machte. Ihr öffentliches Auftreten in Verfolgung politischer Ziele wurde als Wahrnehmung des kirchlichen Mandates mißverstanden. Entsprechende Beschwerden von Gemeindemitgliedern bei der Kirchenleitung im Rheinland führten ebenfalls dazu, die rechtlichen Verhältnisse ihres Dienstes zu überprüfen.“
Also doch. Das politische Engagement der Solinger Pastorin mißfällt den Kirchenoberen. Die massiven Beschwerden des Bayer-Konzerns und seiner Mitarbeiter trugen Früchte. Bei ihren Eingaben an die Kirchenleitung vergaßen die Beschwerdeführer nicht zu erwähnen, daß immerhin drei Prozent der Mitglieder der rheinischen Landeskirche bei dem Chemie-Multi unter dem Kreuz arbeiten und per anno rund 24 Millionen Mark an Kirchensteuern zahlen. Da muß man sich eine solche Pastorin nicht bieten lassen, die rechtschaffene Arbeit als Teufelswerk abtut.
Frau Geisler will den Entzug ihres Pastorinnentitels nicht widerspruchslos hinnehmen, sie hat entsprechende rechtliche Schritte eingeleitet. Schließlich sei sie wegen ihrer Arbeit mit Drogenabhängigen seinerzeit mit dem „Schutz des Seelsorgegeheimnisses“ ausgestattet worden. Laut ihrem Dienstvertrag mit dem Kirchenkreis Solingen sieht ihr Arbeitsgebiet „die christliche Verkündigung, Beratung und Seelsorge in der Jugend- und Drogenarbeit“ vor.
An dem geistlichen Wirken der gemaßregelten Pastorin besteht indes keinerlei Zweifel. Insbesondere für ihre Klientel, in der Jugendszene und bei den Umweltschützern, hält sie regelmäßig Gottesdienste, bei Trauungen und Taufen übt sie die Sakramentenverwaltung aus - alles mit der Zustimmung ihrer Kirche. „Ich habe eben eine Gemeinde ohne Namen“, sagt die couragierte Protestantin und gibt sich kämpferisch: „Ich trage meinen Titel weiter.“
Entschieden setzt sie sich gegen Behauptungen zur Wehr, sie arbeite bei der „Koordination gegen Bayer-Gefahren“ in einer Tarnorganisation der DKP mit. Gewiß, räumt Frau Geisler ein, zwei der sechs Mitglieder im Sprechergremium dieses „Selbsthilfe-Netzwerkes“ seien DKP-Mitglieder. Freilich reiche das politische Spektrum der Aktiven von kirchlichen Gruppierungen über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen. Die mit ihrer Kirche über Kreuz liegende Pastorin hat mit Parteien nach eigenem Bekunden überhaupt nichts am Hut: „Ich war nie in einer Partei und will das auch nicht. Meine Partei ist die Kirche. Und damit habe ich gerade genug Streß ...“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen