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Kein Roboter zum Aufziehen

Silbermedaillist Oktay Urkal wähnt sich vor einer aussichtsreichen Profiboxkarriere – zumindest solange Kubas Olympiasieger Vinent Amateur bleibt  ■ Von Matti Lieske

Atlanta (taz) – Einen Trost hat Oktay Urkal für seine entgangene Goldmedaille im olympischen Boxturnier: In seiner nun beginnenden Profikarriere wird er sobald nicht auf einen Gegner treffen, welcher derart stark ist wie der Kubaner Hector Vinent. Der hatte ihn im Alexander Memorial Coliseum im Halbweltergewichtsfinale (bis 63,5 kg) glatt mit 20:13 Punkten bezwungen. Der Rechtsausleger Vinent gilt als weltbester Amateurboxer nach seinem Landsmann Ariel Hernández – Schwergewichtler Felix Savon rangiert in einer Sonderkategorie.

Das hatte Urkal nicht gehindert, Vinent 1994 einmal zu besiegen. Dies geschah allerdings bei jenem berüchtigten Weltcup-Turnier in Bangkok, das zum Abbruch der bis dahin freundschaftlichen deutsch- kubanischen Boxbeziehungen führte. Reihenweise gewannen die Deutschen damals gegen die Kubaner, die anschließend von blankem organisiertem Betrug sprachen. Die lebende Trainerlegende Alcides Sagarra wäre in Bangkok fast zum Mörder geworden, und ein kubanischer Funktionär wurde nach heftigem Eklat und vielen bösen Worten sogar gesperrt.

Urkal war's egal. Er hatte sich auch in Atlanta Chancen gegen Vinent ausgerechnet. Seine Schnelligkeit sollte er ausspielen und den Gegner überraschen, hatte Trainer Hans-Ulrich Wegner gefordert. Das habe aber nicht geklappt, weil der Kubaner, der auch vor vier Jahren in Barcelona Gold geholt hatte, „physisch und psychisch stärker“ gewesen sei. „Oktay hatte diesmal nicht die Nerven“, sagte der Coach, habe zuwenig Finten gebracht und bei seinen Angriffen „ordentlich eingefangen“. Trotzdem habe er sich „toll verkauft.“

Vor allem in der dritten Runde setzte Urkal vor den Augen seines Idols Muhammad Ali alles daran, den Punktrückstand noch aufzuholen und ließ sich auch durch die Konter von Vinent nicht einschüchtern. „Selbst wenn ich mit einem Tyson im Ring stehen würde, würde ich zwar verlieren, aber Angst hätte ich nicht“, sagt der Halbweltergewichtler aus Berlin-Kreuzberg, dessen Hoffnungen auf den „lucky punch“ unerfüllt blieben.

Vinent machte nicht den Fehler seines Landsmannes Alfredo Dovergel. Der hatte den US-Mittelgewichtler David Reid in der dritten Runde, haushoch nach Punkten führend, nicht mehr ernst genommen und prompt einen linken Haken kassiert, der ihn über den Ringboden taumeln ließ und den Kampf zugunsten des reichlich verblüfften Reid beendete. Die Kubaner mußten sich somit mit viermal Gold (und zweimal Silber) begnügen; Reid schaffte das einzige Box-Gold für die USA, das entsprechend laut gefeiert wurde, zumal niemand mehr eine solche Wendung des einseitigen Kampfes für möglich gehalten hatte.

„Ich bin eben kein Roboter, den man aufzieht, und dann geht er los“, sagte Urkal, aber „ein bißchen traurig“ sei er schon: „Gold zum Abschluß der Amateurkarriere wäre schön gewesen.“ Das hätte sich auch der DABV gewünscht, dessen Medaillenbilanz (0/1/3) somit auch ohne Gold auskommen muß. Auch Wegner, der künftig im Profigeschäft im Unternehmen von Promoter Wilfried Sauerland arbeiten wird, hätte natürlich gern einen Olympiasieg zum Abschied gehabt. Noch lieber würde er Oktay Urkal mit zu seinem neuen Arbeitgeber nehmen. Doch der 26jährige tendiert eher zur Berliner Dependance des Hamburger Veranstalters Klaus- Peter Kohl, weil er dann in seinem geliebten Kreuzberg bleiben kann. Kohl saß in Alanta am Ring und sagt, man sei „dicht dran“.

Oktay Urkal ist gestern nach Berlin zurückgekehrt. Spätestens am Samstag wird er Kohl wieder treffen, wenn er sich am Hamburger Millerntor die Halbschwergewichts-WM (WBO) zwischen dessen Boxern Dariusz Michalzcewski und Graciano Rocchigiani anschauen wird. Für eine erfolgreiche Profikarriere rechnet sich Urkal beste Chancen aus: „In meiner Gewichtsklasse gibt es nur zwei wirklich gute Boxer: Oscar de la Hoya und Konstantin Zsiu“ – der Olympiasieger von 1992 im Leichtgewicht und der sowjetische Weltmeister von 1991, der inzwischen in Sydney lebt. Was ist mit Hector Vinent? „Der wird ja hoffentlich nicht Profi.“

Ganz sicher kann man da nicht sein, wenn man sich die Prioritäten ansieht, die der 24jährige nach dem Kampf setzte: „Diese Goldmedaille bedeutet eine Menge für mein Land, für das Boxen in Kuba, aber am allermeisten bedeutet sie für mich.“

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