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Kein Recht auf Kondomverzicht

■ Staatsanwalt in Kempten will gegen HIV-Infizierten Anklage wegen „versuchter schwerer Körperverletzung“ erheben / Partnerin hatte zum ungeschützten Sex eingewilligt und bewußt auf Kondome verzichtet

Berlin (taz/dpa) – Darf ein HIV- infizierter Mann ohne Kondom mit seiner Freundin schlafen, wenn die Freundin von seiner Infizierung weiß, aber dennoch kein Präservativ benutzen will? Die Kemptener Staatsanwaltschaft sagt nein. Sie will jetzt gegen einen 29jährigen Anklage wegen „fortgesetzter versuchter schwerer Körperverletzung“ erheben.

Der Beschuldigte, der noch wegen eines Eigentumdelikts im Knast sitzt, ist seit einem halben Jahr mit einer 17jährigen Schülerin zusammen. Die Gymnasiastin bestätigte gegenüber der Polizei, daß ihr die HIV-Infektion ihres Freundes und das Risiko, sich mit dem tödlichen Virus anzustecken, bekannt gewesen seien. Dennoch hätten sie bewußt auf Kondome verzichtet.

Trotz des Alters des Mädchens von erst 17 Jahren hat die Augsburger Rechtsanwältin Hörster, die den 29jährigen Beschuldigten vertritt, keinen Zweifel an der „Einsichtsfähigkeit des Mädchens“. Sie habe ihre Einwilligung zum ungeschützen Geschlechtsverkehr gegeben. Da man ihrem Mandanten keinerlei Vorsatz unterstellen könne, sei die Begründung des Haftbefehls unhaltbar.

Der leitende Oberstaatsanwalt Hofmaier beruft sich dagegen auf § 226 a des Strafgesetzbuches: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, handelt sittenwidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.“ Und für Hofmaier ist klar, daß der ungeschütze Intimverkehr bei einer HIV-Infektion allemal gegen die guten Sitten verstößt. Der Ermittlungsrichter habe sich dieser Bewertung angeschlossen. Auch wenn dieser Fall, so Hof maier, „rechtliches Neuland“ bedeute und „juristisch sehr kompliziert“ sei, will die Staatsanwaltschaft Anklage erheben und bei einer Niederschlagung des Verfahrens notfalls Beschwerde einlegen. Ob tatsächlich eine Körperverletzung, also eine Ansteckung, vorliegt, läßt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Ein Test, zu dem die 17jährige Freundin des Beschuldigten einwilligte, verlief negativ. Allerdings kann die Ausbildung von HIV-Antikörpern Monate und unter Umständen sogar Jahre dauern.

Die Staatsanwaltschaft in Kempten will voraussichtlich innerhalb der beiden nächsten Wochen Anklage erheben. –man-

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