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Kein Asyl für Todeskandidaten

■ Bundesregierung sperrt sich gegen die Aufnahme von 14 mit dem Tode bedrohten chilenischen Oppositionellen / Geständnisse der angeblichen „Kapitalverbrecher“ wurden durch Folter erpresst

Heute beginnt in Chile in zweiter Instanz ein Prozeß, in dem die Bestätigung eines Todesurteils gegen den Oppositionellen Carlos Garcia verhandelt wird. Garcia ist einer von 14 politischen Gefangenen, die gerettet werden können, wenn die Bundesregierung einer Aufnahme der Häftlinge in der BRD zustimmt. Für Innenminister Zimmermann offenbar eine Zumutung: Warum sollte die Bundesrepublik „Kapitalverbrechern“ Asyl bieten?

Optimistisch sind die 14 von der Todesstrafe bedrohten Chilenen noch nicht: Ihre Prozesse vor den Militärgerichten ziehen sich in die Länge, und das unwürdige Tauziehen, das Bundesinnenminister Zimmermann um ihre Aufnahme in der Bundesrepublik veranstaltet, hebt nicht gerade die Stimmung. Der 34jährige Carlos Garcia, einer von vier bereits zum Tode Verurteilten: „Die Aussicht, in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen, gibt uns zweifellos Kraft. Aber ich mache mir auch keine Illusionen: Nur mit starkem Druck auf das Regime kann man etwas erreichen.“ Bislang bleibt der „Druck“ auf Solidaritätsgruppen, einzelne Politiker und SPD–geführte Bundesländer beschränkt, die bereit sind, die 14 Bedrohten aufzunehmen. Innenminister Zimmermann dagegen hat sie in der Kabinettssitzung vor einer Woche - so weiß der Spiegel zu berichten - als „Kapitalverbrecher“ bezeichnet, denen man kein Asyl gewähren dürfe. Eine Sprache, die sich kaum von der des chilenischen Militärstaatsanwalts unterscheidet: „Nachdem es sich hier um terroristische Mörder von höchster Perversion und Gefährlichkeit handelt, die es nicht wert sind, unter zivilisierten Menschen zu leben, muß die Todesstrafe verhängt werden.“ So lautete die Anklage gegen den 39 Jahre alten Sozialarbeiter Femin Montes. Er soll dabeigewesen sein, als ein Attentat auf das von Diktator Pinochet persönlich gestiftete Monument gegenüber seinem Regierungspalast (von ihm „Freiheitsflamme“ getauft) verübt wurde. Femin Montes bestreitet das, trotz sechs Jahren Untersuchungshaft, Folter und Geheimprozeß. Wie seine 13 Mitangeklagten bekennt er sich allerdings zum bewaffneten Widerstand der „Bewegung der revolutionären Linken“ (MIR). Der 37jährige Carlos Araneda gehört zu den drei bereits zum Tode verurteilten Häftlingen, denen vorgeworfen wird, den damaligen Provinzgouverneur von Santiago, Carol Urzua, einen General im Ruhestand, bei einem Attentat getötet zu haben. Araneda beschreibt, wie die Anklagen zustandegekommen sind: „Alle Prozesse basieren auf angeblichen Erklärungen von uns, die unter Folter aus uns herausgeholt wurden. Man zwang uns, uns selbst anzuklagen und Erklärungen zu unterschreiben, die wir nicht einmal lesen durften.“ Die drei angeblichen Attentäter wußten zu diesem Zeitpunkt auch nicht, ob sie die Erklärungen gegenüber einem Richter abgaben oder ob sie noch in Händen des Geheimdienstes waren. Später stellte sich heraus, es war der Militärstaatsanwalt. Nach ihrer Überführung in ein „ordentliches“ Gefängnis zogen alle drei die erpreßten Geständnisse zurück und erklärten, daß sie dem Kommando nicht angehört hatten, das die Schüsse auf den Militärgouverneur abgegeben hatte. Sie hätten vielmehr zu einer Gruppe gehört, die den Rückzug der Attentäter decken sollte. Die Berichte der 14 gleichen sich bis in die Details: „Ich trage immer noch die Spuren der Folter. Meine Lebensgefährtin wurde gefoltert, als sie im sechsten Monat schwanger war mit unserem jüngsten Sohn.“ (Fermin Montes) „Mir wurde gedroht, daß man mich erneut dem Geheimdienst CNI übergeben würde, der mich 19 Tage entführt gehalten und physisch wie psychisch gefoltert hatte. Ich sollte die Anklagen, die die CNI gegen mich ausgearbeitet hatte, unterschreiben.“ (Rodolfo Rodriguez) Schon im Oktober vergangenen Jahres hat die damalige rot–grüne Landesregierung Hessens den 14 die Aufnahme als politische Flüchtlinge angeboten. Doch vor die Asylgewährung für Chilenen hatte noch die Bonner sozialliberale Koalition 1973 eine „Sicherheitsüberprüfung“ gesetzt. Heute plädiert die SPD für eine Abschaffung dieser diskriminierenden Regelung. So schrieb vor einem halben Jahr Ministerpräsident Börner an Hans–Dietrich Genscher, „daß von den im Rahmen früherer Aufnahmeaktionen in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten politischen Flüchtlingen aus Chile und Argentinien unseres Wissens deutsche Sicherheitsinteressen zu keiner Zeit beeinträchtigt worden sind“. Doch Scharfmacher Zimmermann bedient sich nur zu gern der alten „Sicherheitsüberprüfung“. Und vor einer Entscheidung wollte er eine Empfehlung des Menschenrechtsbüros der Katholischen Kirche in Santiago hören, der sogenannten „Vicaria“. Aus prinzipiellen ethischen Gründen verteidigt die „Vicaria“ aber nur Gefangene, die sich zur Gewaltlosigkeit bekennen - das weiß natürlich auch Minister Zimmermann. Auch aus einem anderen Grund kann sich das Menschenrechtsbüro nicht leisten, für die Aufnahme der Gefangenen aus dem bewaffneten Widerstand offen einzutreten: Ohnehin sind ihre Mitarbeiter und Anwälte Drohungen und staatlicher Repression ausgesetzt. Minister Zimmermann hatte es offensichtlich darauf angelegt, die abgebliche „Gewalttätigkeit“ von Asylbewebern zum Kriterium zu machen. In diesem Sinne jedenfalls beantwortete er eine Kleine Anfrage der Grünen (vom 9.12.85). Der mit der Todesstrafe bedrohte Raul Castro meint dazu: „Es ist klar, daß unser Kampf sich gegen das chilenische Regime richtet, der deutsche Staat hat von uns nichts zu befürchten. Auf jeden Fall danken wir für alles, was deutsche Demokraten unternommen haben, und ich hoffe, daß mein Wunsch, in Deutschland zu leben, Wirklichkeit wird.“ Welchen Einfluß ein bundesdeutsches Visum schon auf das chilenische Gerichtsverfahren haben kann, dokumentiert der Fall einer Gruppe politischer Gefangener, die im Februar 1985 wegen angeblicher Unterstützung der Guerilla verhaftet wurden. Hamburgs Bürgermeister von Dohnanyi wollte die zehn Gefangenen im Juli 1985 aufnehmen - das Bundesinnenministerium scherte sich nicht darum, daß bereits ein Jahr zuvor ein Mitglied der Gruppe im Gefängnis der südchilenischen Stadt Valparaiso zu Tode gefoltert worden war, und lehnte aus angeblichen Sicherheitsgründen ab. Gegen die Entscheidung protestierte Dohnanyi - zu offensichtlich hatte sich die Bundesregierung auf die Anklageschrift der chilenischen Militärs gestützt (“Verstoß gegen das Waffen– und Antiterroristengesetz“). Ende März 1987 revidierte die Bundesregierung dann überraschend ihre Entscheidung und erteilte den zehn Gefangenen Einreiseerlaubnis. Nur zwei Wochen später, am 16. April, wurden alle zehn von einem chilenischen Zivilgericht freigesprochen und trotz eines Einspruchs der Staatsanwaltschaft freigelassen. Am 1. Juni kamen die ersten fünf von ihnen auf dem Hamburger Flughafen an. Michael Rediske

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