: Kaufe Aussage, gebe Strafrabatt
Nach dem gestrigen Urteil des Kammergerichts gegen Tarek Mousli kochen die Emotionen hoch. Zwei Jahre Haft auf Bewährung für den Kronzeugen und erste Aufwärmübungen für den eigentlichen RZ-Prozess im kommenden Frühjahr
Die Zuschauer protestierten mit Pfennigstücken. Viele von ihnen warfen die Münzen in Richtung Gerichstsaal und skandierten: „Kein Deal mit dem Staat – Solidarität statt Verrat.“ Dass es sich dabei um einen symbolischen Protest handelte, zumal die Münzen weit entfernt von Mousli liegen blieben, war dem Vorsitzenden sogleich klar. „War das alles?“, fragte er, drohte bei Wiederholung mit Ordnungsmaßnahmen und fuhr dann ungerührt mit der Urteilsbegründung fort.
Zuvor hatte der Richter am Kammergericht sein Urteil im ersten Berliner Prozess gegen die Revolutionären Zellen gesprochen. Zwei Jahre auf Bewährung gab es für den 41-jährigen Karatelehrer Tarek Mousli. Dem Antrag der Bundesanwaltschaft folgend begründete das Gericht die milde Strafe mit der Kronzeugenregelung. Mousli, der von 1985 bis 1995 den RZ angehörte, hatte nach seiner Verhaftung im vergangenen Winter umfassend über Strukturen und frühere Tatgenossen der RZ ausgepackt.
Entsprechend knapp fielen gestern die Ausführungen des Richters zu Mouslis Tatbeitrag aus. Schon in den vergangenen Prozesstagen hatte das Gericht sich keine Mühe gegeben, den Anstrich zu wahren, gegen Mousli fände eine gründliche Beweisaufnahme statt. Das Gericht befand den Angeklagten für schuldig, als Mitglied der RZ an den Knieschussanschlägen auf den Leiter der Ausländerbehörde Harald Hollenberg und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher sowie an einem Sprengstoffanschlag auf die zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber beteiligt gewesen zu sein.
Zu seinen Gunsten wurde ihm nicht nur sein Geständnis und die Preisgabe seines Wissens über die RZ zugute gehalten. Für Mousli sprach nach Angaben des Richters auch dessen „linke Biografie, die ihn in die Situation hineinmanövriert hat, und die nicht von ihm zu verantworten ist“. Der Richter meinte damit, dass Mousli im Libanon geboren ist, die Bürgerkriegsereignisse „hautnah mitbekommen“ hat und „als Ausländer nach Deutschland gekommen ist“.
Zuvor hatten die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft in ihren Plädoyers zu einem Rundumschlag gegen die linke Berliner Politikszene ausgeholt. Sie nahmen damit Bezug auf die „Verräter“-Rufe im Gerichtssaal und einen in der taz veröffentlichten offenen Brief ehemaliger Bekannter von Mousli. In dem Brief war Mousli aufgefordert worden, seine Aussagen zurückzunehmen. „Wer mit solchen Emotionen reagiert“, so die Bundesanwälte, „bestätigt den Inhalt der Aussagen auf seine Weise.“
Mousli wird von seinen früheren Bekannten besonders übel genommen, dass er nicht nur seine politische Vergangenheit verrate, sondern auch seinen besten Freund. Zur Ehrenrettung ihres Zeugen führte die Bundesanwaltschaft an: „Mousli war nicht feige“, die Aussagen seien ihm nicht leicht gefallen. Auch ohne Kronzeugenregelung hätte er bei einem vergleichbaren Geständnis Chancen auf eine ähnliche Strafmilderung gehabt.
Das Urteil ist seit gestern rechtskräftig. Wenn Mousli im kommenden Frühjahr im Prozess gegen Sabine Eckle, Matthias Borgmann, Harald Glöde und Axel Haug auftreten muss, werden ihm vermutlich andere Fragen gestellt werden. Ein Zuschauer kommentierte den Prozess mit einer Frage: „Ob die Bundesanwälte wohl auch so locker über Verrat reden würden, wenn einer ihrer Kollegen die nächste Durchsuchung verrät?“
PLUTONIA PLARRE
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