Katastrophenzone Türkei: Die große Leere unter blauem Himmel
Die türkischen Strände sind leer: Erst blieben die Russen weg, dann kam die Terrorangst. Und der türkische Präsident Erdoğan verschreckt den Rest.
Alanya, das beliebteste Ziel deutscher Urlauber an der türkischen Riviera, ist buchstäblich leer. Am berühmten Kleopatrastrand reiht sich eine leere Strandliege an die nächste, die Sonnenschirme werden erst gar nicht aufgestellt. „Ich bin seit 20 Jahren mit meiner Strandbar hier vor Ort“, erzählt ein gut gebräunter gemütlicher älterer Herr, „aber so eine Katastrophe habe ich noch nicht erlebt.“
Gerade hat der Flughafen von Antalya, das wichtigste Tor zur türkischen Riviera, seine Zahlen für Mai/Juni dieses Jahres veröffentlicht: 98 Prozent Rückgang bei russischen Urlaubern, mehr als 50 Prozent bei Deutschen und anderen Westeuropäern. Eine Ladenbesitzerin an der Promenade von Alanya will am liebsten gar nichts sagen. „Sie sehen doch selbst, dass hier kein Mensch ist“, sagt sie verbittert.
Von Kemer im Westen bis Alanya im Osten sind die gesamten 200 Kilometer schönsten Sandstrands in diesem Jahr eine touristische Katastrophenzone. Von den 5,2 Millionen russischen Urlaubern, die im letzten Jahr hier die Strände bevölkerten, ist in diesem Jahr so gut wie keiner gekommen. Aber auch die Deutschen, 2015 mit 5,5 Millionen noch die größte Gruppe, machen sich rar. Die Saison ist für den türkischen Tourismus bereits gelaufen, bevor sie richtig begonnen hat.
Die Russen: Der Syrienkrieg und der Kampf mit der PKK hinterließen 2015 erste Spuren, aber die eigentliche Krise begann im November 2015, als der türkische Präsident Erdoğan sich mit dem russischen Präsidenten Putin wegen des Abschusses eines russischen Kampfflugzeuges an der syrisch-türkischen Grenze tief zerstritt. Putin rief seine Landsleute dazu auf, die Türkei nicht mehr zu besuchen.
Der Terror: Dann folgten die Terroranschläge in Istanbul im Januar, März und Juni – mit dem Anschlag auf den Flughafen als absolutem Tiefpunkt.
Imagekiller Erdoğan: Dazu der Streit zwischen Deutschland und der türkischen Regierung, der mit den Auseinandersetzungen über den Flüchtlingspakt begann, sich mit Böhmermann fortsetzte und seinen Höhepunkt im Konflikt über die Armenien-Resolution des Bundestags fand.
Die Krise: Der Vorsitzende der Vereinigung der türkischen Investoren im Tourismusbereich, Murat Ersoy, befürchtet einen Rückgang der Einnahmen um 15 Milliarden Euro. Der Tourismus erwirtschaftete bisher gut 6,5 Prozent des gesamten türkischen Bruttosozialproduktes und stellt mindestens 8 Prozent aller Arbeitsplätze.
Man merkt das bereits bei der Landung in Antalya. Der von der deutschen Fraport betriebene Flughafen, der in einer normalen Hochsaison von Mitte Juni bis Mitte September oft die Passagierzahlen des Istanbuler Atatürk-Flughafens übertrifft, ist mehr oder weniger leer. Antalya selbst ist zwar geschäftig wie immer, schließlich wohnen knapp 1,5 Millionen Menschen in der Stadt, doch hinter der Fassade wächst die Angst. Denn fast alle hier leben vom Tourismus, und selbst wer nicht direkt in der Branche beschäftigt ist, bekommt die Auswirkungen der Katastrophe zu spüren.
Auf der Expo Antalya fehlen die Besucher
Die Krise trifft die Region ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem die Menschen glaubten, jetzt würde es erst richtig losgehen. Alles war bereit für den großen Ansturm. Die Infrastruktur ist bestens ausgebaut, die Baustellen früherer Jahre fast verschwunden, und die Strände sind so sauber, dass viele die Blaue Flagge als ökologische Auszeichnung führen dürfen. InKaleiçi,der pittoresken, aber früher ziemlich verfallenen osmanischen Altstadt von Antalya, sind die großherrschaftlichen Konake renoviert und in Boutiquehotels umgewandelt worden. Hinter den Mauern verstecken sich lauschige Gärten und Swimmingpools.
Gerade in diesem Jahr hatte sich die Region um Antalya besonders viel vorgenommen. Mithilfe der großen internationalen Gartenschau Expo Antalya wollte man die Rekorde der letzten Jahre noch Keine Unterstützung für Beschäftigte im Tourismuseinmal toppen. Jetzt ist diese Expo zum Symbol der Katastrophe geworden. Millionen und Abermillionen wurden in das Prestigeprojekt investiert, sogar eine neue S-Bahn-Strecke vom Zentrum Antalyas bis zur 30 Kilometer außerhalb der Stadt liegenden Expo wurde gebaut, und nun kommt kein Mensch. Zwei junge Frauen aus Solingen, die in Side Urlaub machen und von ihrem Hotel hergebracht wurden, wundern sich, dass so gar nichts los ist. Wo hier die Showräume sind, wollen sie wissen.
Die gibt es durchaus, aber sie stehen so verlassen in der grellen Sonne, dass man den Eindruck hat, alles wäre noch geschlossen. Eine aufwendige Multimediashow, angefangen von dem Beginn menschlicher Landwirtschaft in Anatolien bis zu einer futuristischen Zukunft, hat außer dem Reporter keine Besucher. Es sei zu heiß, sagt einer der Angestellten als Entschuldigung. Tatsächlich stöhnt die türkische Mittelmeerküste in der zweiten Junihälfte das erste Mal unter einer Hitzewelle von 40 Grad im Schatten, doch das ist nicht der Grund für die ausbleibenden Besucher.
„Hier ist seit der Eröffnung Mitte April nichts los“, sagtAyşe,die im Ausstellungspavillon von Istanbul jobbt. Trotzdem ist sie froh, dass sie bei der Expo wenigstens noch für fünf Monate Arbeit gefunden hat. „Ich hatte eine feste Anstellung in einem der Schmuckbasare, die an der Hauptstraße vom Flughafen ins Zentrum von Antalya stehen. Diese Schmuckbasare richten sich hauptsächlich an eine russische Kundschaft. Eine Woche nach dem Abschuss des russischen Militärjets an der türkisch-syrischen Grenze im letzten November wurde ich zusammen mit fast hundert anderen Verkäuferinnen gefeuert.“
Keine Unterstützung für Beschäftigte im Tourismus
Danach warAyşezunächst sieben Monate arbeitslos. „Mein Arbeitslosengeld“, sagt sie, „reichte gerade einmal für die Miete.“Ayşeist sauer auf die staatliche Krisenpolitik. „Die Hotelbesitzer bekommen vom Staat Überbrückungskredite oder dürfen ihre Schulden später zahlen. Von mir will die Bank jeden Monat Geld sehen.“ So wieAyşegeht es Tausenden von Leuten, die ihren Unterhalt im Tourismus verdienen. Viele von ihnen, die jeweils in der Saison in Hotels oder Clubs gearbeitet haben, brauchten in diesem Sommer gar nicht erst anzutreten, weil Hotel und Club nicht öffneten.
Beispielhaft dafür ist Kemer, eine reine Touristenstadt 50 Kilometer westlich von Antalya. Kemer war traditionell fest in russischer Hand. Nicht nur die Gäste, auch viele Hotelbesitzer kommen aus Russland. „Mehr als 60 Prozent aller Hotels“, sagt der Sprecher des Tourismusbüros in Kemer, „sind in diesem Jahr erst gar nicht geöffnet worden.“ Während der Beamte als Grund für die Katastrophe den „Terrorismus“ anführt, weiß in Kemer natürlich jeder, dass die Russen in diesem Jahr bisher aus politischen Gründen nicht gekommen sind.
Nachdem PräsidentErdoğanEnde Juni dann doch noch über seinen Schatten gesprungen ist und sich bei Präsident Putin für den Abschuss des russischen Jets entschuldigt hat, keimt nun wieder Hoffnung. Vielleicht würden die Russen jetzt wenigstens noch die zweite Hälfte der Saison retten, hofft man nicht nur in Kemer. Hakan, der in einer Strandbar jobbt, freut sich: „Gut, dassErdoğanden Familien der Kampfpiloten kondoliert hat. Das war richtig“, meint er.
Die meisten Gesprächspartner vermeiden es aber, über die politischen Ursachen der leeren Strände zu reden. Sie tun so, als sei das Ganze eine Naturkatastrophe. Allenfalls geben einige selbstkritisch zu bedenken, dass die Touristen von einigen „schwarzen Schafen“ in der Branche in den letzten Jahren doch häufig „über den Tisch“ gezogen worden sind. „30 Euro für einen alten Fisch, das geht natürlich nicht“.
AuchErdoğanverdunkelt das Image
Die türkische Regierung schiebt in ihren Stellungnahmen alles auf die „Terrorattacken“ der PKK und des „Islamischen Staats“. Doch die meisten Hoteliers wissen genau, dass das bestenfalls ein Teil der Wahrheit ist. „Viele meiner deutschen Kunden sagen“, erzählt ein Hotelier in Antalya, der namentlich nicht genannt werden will, „der Terrorismus sei nicht der Grund, Bomben könnten überall hochgehen. Aber sie wollten nicht mehr imErdoğan-LandUrlaub machen. Was soll ich machen?“, fragt er sich, „ich habeErdoğannicht gewählt und werde nun doppelt bestraft.“
Andere wollen es nicht einfach hinnehmen, dass ihre wirtschaftliche Grundlage sich gerade in nichts auflöst. Ein bekannter Geschäftsmann aus Antalya, Serdar Ali Abet, hat für drei Millionen Euro eine Soap-Opera in Antalya drehen lassen, die jetzt während des Ramadans über TRT El Arabia in den arabischen Ländern ausgestrahlt wurde und damit zur Popularität von Antalya beitragen soll.
In Belek, einem Vorort von Antalya, der für seinen Golftourismus berühmt ist, demonstrierten vor zwei Wochen wütende Kleinhändler, Taxifahrer und Restaurantbetreiber, weil sie im Gegensatz zu den großen Hotelketten keine Unterstützung vom Staat bekommen. In Ankara dämmert der Regierung von BinaliYilldirimallmählich, dass sich an den Küsten des Landes ein Sturm zusammenbraut. Gemeinsam mit Vertretern der Branche will man nun ein Aktionsprogramm entwickeln, um vielleicht doch noch etwas zu retten. Stars und Sternchen sollen für Imagefilme engagiert werden, um die positiven Seiten der Türkei wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.
Den meisten Tourismusexperten ist aber schon klar, dass kein noch so guter Imagefilm etwas nutzt, solange die Politik des Landes kontinuierlich schlechte Nachrichten produziert. Der neuerliche Terroranschlag, dieses Mal am Istanbuler Flughafen, dürfte dem Tourismus für dieses Jahr den Rest gegeben haben. Die Hoteliers hoffen nun auf inländische Besucher. Auf Druck der Branche hat die Regierung die traditionellen Bayram-Feiertage am Ende des Fastenmonats Ramadan in diesem Jahr auf neun Tage verlängert, in der Hoffnung, dass dann viele Türken die Gelegenheit nutzen, um ans Meer zu fahren.
Doch auch das wird die Tourismusbranche nicht retten.Ayşe,die Schmuckverkäuferin die jetzt auf der Expo jobbt, hat gehört, dass die internationalen Hotels frühestens 2018 wieder auf einen Anstieg der Zahlen hoffen. Sie hofft, dass es sich einige Deutsche vielleicht im letzten Moment doch noch überlegen: „Noch nie war der Service hier so gut und waren die Preise so günstig wie heute.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz