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Archiv-Artikel

american pie Karneval bei den Clippers

Vor den Play-offs in der Basketball-Profiliga NBA wird über ein absurdes Ratingsystem diskutiert

Wäre Köln Los Angeles – was mancher Kölner womöglich gar nicht so absurd finden mag –, dann wäre das, was derzeit in L. A. stattfindet, ungefähr so, als würde der 1. FC gerade so die Klasse halten und Fortuna Köln sich für den Uefa-Pokal qualifizieren. Beides klingt, zumindest für Menschen, die nicht mit einer rheinischen Frohnatur gesegnet sind, extrem unwahrscheinlich. Aber in Los Angeles machen Lakers und Clippers vor, dass man auch nach dem Ende des Karnevals auf Wunder hoffen darf.

Die Los Angeles Clippers, dank ihres geizigen Besitzers Donald Sterling, der seine besten Spieler stets verscherbelte, bevor sie zu teuer werden konnten, als Lachnummer der Liga verschrien, haben zum ersten Mal seit neun Jahren wieder die Play-offs der NBA erreicht und stehen sogar besser da als die innerstädtische Konkurrenz von den Lakers. Die Zuschauer strömen zu den Clippers ins Staples Center, wo sich sonst nur zu den Auftritten der Lakers die Hollywood-Prominenz von Jack Nicholson bis Paris Hilton drängelt. Grund genug für die Clippers, ihren Anhängern, die als die leidensfähigsten Basketballfans des Landes gelten, Danke zu sagen. Also feierte man anlässlich der Begegnung gegen die Seattle Supersonics die „Fan Appreciation Night“. Allerdings schätzt Clippers-Coach Mike Dunleavy die eigenen Fans so sehr, dass er seine besten Profis früh auf die Bank setzte, seine sämtlichen Ersatzspieler zum Einsatz brachte und die 98:114-Niederlage quasi provozierte.

„Wir haben versucht zu gewinnen“, log Dunleavy dreist, „aber wollten auch einigen eine wohlverdiente Ruhepause gönnen.“ Und, vergaß er hinzuzufügen, sich mit Niederlagen den sechsten Rang von acht Play-off-Teams in der Western Conference sichern. Denn der würde den Clippers absurderweise das Heimrecht in einem siebten und möglicherweise entscheidenden Spiel der ersten Runde sichern. „Es ist kein Geheimnis“, war immerhin Aufbauspieler Sam Cassell ehrlich, „wenn wir Sechster werden, dann haben wir den Heimvorteil. Da ist mir vollkommen egal, was andere sagen oder denken.“ Schuld an dieser seltsamen Situation ist das System, mit dem die NBA die Teams für die am kommenden Samstag beginnenden Play-offs setzt. In Ost und West qualifizieren sich jeweils acht Teams, die Plätze werden nach den errungenen Siegen verteilt. Aber Eastern und Western Conference sind noch einmal in drei Divisionen unterteilt, deren Gewinner für die ersten Ränge der Setzliste vorgesehen sind – auch wenn sie nach ihren Siegen eigentlich schlechter platziert wären. Den Heimvorteil in den einzelnen Paarungen erhält allerdings stets das Team mit der besseren Saisonbilanz.

Leidtragende dieses Systems, an dem immer mehr Kritik laut wird, sind in diesem Jahr vor allem Dirk Nowitzki und seine Dallas Mavericks, die nur an Nummer vier im Westen gesetzt werden, obwohl sie acht Siege mehr gesammelt haben als die an Zwei gesetzten Phoenix Suns und sogar 16 mehr als die Denver Nuggets, die Dritten der Setzliste. Sollten sich in der ersten Runde die Favoriten durchsetzen, müssten die Mavericks bereits im Viertelfinale gegen die Nummer eins des Westens, die San Antonio Spurs, antreten. Der Titelverteidiger gilt als größter Konkurrent der Detroit Pistons, die als Nummer eins des Ostens in die Play-offs gehen und sich mit den meisten Siegen der Liga bereits das Heimrecht bis in eine mögliche Finalserie gesichert haben.

Größter Profiteur der Regularien könnten dagegen die bislang vom Schicksal wenig verwöhnten Los Angeles Clippers werden. Um auf die vergleichsweise schwach eingeschätzten Nuggets zu treffen, müssen sie allerdings aufpassen, dass sie nicht doch noch womöglich mehr Spiele gewinnen als die Memphis Grizzlies, die nach dem momentanen Stand gegen die Mavericks antreten müssten. So bringen Niederlagen den Clippers momentan mehr als Siege, rechtfertigte nach dem abgeschenkten Spiel gegen Seattle auch Center Chris Kaman die Taktik seines Trainers: „Dallas ist sicherlich schlagbar. Allerdings haben wir gegen sie in diesem Jahr noch nicht gewonnen. Deshalb sind wir mit dem sechsten Platz ganz glücklich.“ Verlieren, um zu siegen: Köln mag nicht Los Angeles sein, aber in Los Angeles ist dafür der Karneval ausgebrochen. THOMAS WINKLER