: Karge Beweislage
■ Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren gegen Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge wegen Beleidigung der Rechtsanwälte Ströbele und Ehrig ein
Wenn Staatsanwälte gegen Staatsanwälte ermitteln, kommt meistens nichts heraus – außer langen Schriftsätzen. In einem neunseitigen Beschluß hat ein Oberstaatsanwalt am Kammergericht jetzt das Ermittlungsverfahren gegen den Generalstaatsanwalt am Landgericht, Hansjürgen Karge, wegen Beleidigung und übler Nachrede eingestellt.
Das Corpus delicti war ein Interview in der Morgenpost von Anfang des Jahres. In dem Gespräch hatte der Generalstaatsanwalt zu einem Rundumschlag gegen die Juristenzunft in Berlin ausgeholt. Die ihm untergebenen, jungen Staatsanwälte bezeichnete er als arbeitscheu, verwöhnt und egoistisch. Den Richtern hielt er vor, viel zu milde Urteile zu fällen, und auch die Rechtsanwälte bekamen ihr Fett ab. Obwohl Karge keine Namen nannte, war klar, wer gemeint war: Die Anwälte des Aktionspolitologen Dieter Kunzelmann, Christian Ströbele und Hajo Ehrig. Karge behauptete, die Anwälte hätten „dumm gegrinst“ und Kunzelmann „geistige Unterstützung“ geleistet, als dieser dem als Zeugen geladenen Regierenden Bürgermeister Diepgen vor Gericht ein Ei auf dem Kopf zerdrückt hatte.
Nachdem Ströbele und Ehrig Strafanzeige wegen Beleidigung erstattet hatten, stellte die Oberstaatsanwalt Bajohr das Verfahren jetzt mit der Begründung ein, der Generalstaatsanwalt habe in dem Interview lediglich seine freie Meinung geäußert. Bei Meinungsäußerungen – im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen – bestehe der Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, ohne daß es daraufankomme, „ob die Äußerung wertvoll, wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational“ sei. „Auch scharfe und überzogene Äußerungen, selbst polemische oder verletzende Formulierungen genießen den Schutz des Grundrechts“, hieß es. Äußerungen, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitrügen, genössen zudem stärkeren Schutz als solche, die lediglich privaten Interessen dienten.
Auch den Ehrenschutz der beiden Anwälte hat der Oberstaatsanwalt in dem Beschluß geprüft. Bajohr hält Karge zugute, daß er in dem Interview keine Namen nannte, und kommt zu dem Schluß: Daß der Karge als Generalstaatsanwalt gehandelt habe, wirke sich zwar erschwerend auf das Ausmaß der Ehrverletzung aus. „Andererseits macht ihn gerade seine berufliche Stellung zum Vertreter der Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung.“
Rechtsanwalt Ehrig kommentierte den Beschluß: „Wir könnten gut damit leben, wenn die Staatsanwaltschaft der Meinungsfreiheit auch in anderen Fällen einen größeren Stellenwert einräumen würde als dem Ehrenschutz.“ Wenn sich Hausbesitzer und Politiker beleidigt fühlten, sei dies in der Regel aber nicht der Fall. „Dann ist der Ehrenschutz merkwürdigerweise immer höherrangig.“ Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen