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Kanzler ohne Kapital

Ob als Sumoringer, Ehrendoktor oder Geschichtslehrer: Helmut Kohl findet in Japan keinen Anschluß  ■ Aus Tokio Georg Blume

In der Bibliothek der Tokioter Keio-Universität erwartete am Samstag mittag eine ehrwürdige Herrengesellschaft den deutschen Kanzler. Als der in den Saal schritt, frisch ausgezeichnet mit der Ehrendoktorwürde der Fakultät, zitterten der Studentin Rieko Tamura bereits die Knie. Kohl erinnerte Rieko an einen Sumokämpfer. So stellte sie sich auf Zehenspitzen, als sie dem Kanzler einen großen Blumenstrauß überreichte. Herzlich beklatschte das Publikum die groteske Szene. Doch man mußte das verstehen. Es gereicht in Japan noch den zierlichsten Frauen zur Ehre, wenn sie sich in einen Sumokoloß verlieben.

Der Fehler der Begegnung lag woanders: Rieko ist eine Chinesischstudentin; sie konnte dem Kanzler nicht einmal zum Ehrendoktor gratulieren. Der Worte fielen keine, wenngleich die Blicke sich für eine ganze Weile trafen. „Er hat ein weiches Gesicht“, sagte Rieko später.

Diese wortlose gegenseitige Anziehungskraft charakterisiert noch immer die deutsch-japanischen Beziehungen: Was uns fasziniert – Bonzai und Ikebana –, bedarf ebensowenig der Sprache wie die japanische Liebe zu Bach und Beethoven. Vielleicht lag es daran, daß Kohls ständiges Bemühen, eine „neue Dynamik“ oder gar einen „qualitativen Sprung“ der Beziehungen zwischen beiden Ländern herbeizureden, in Tokio auf ein so geringes Echo stieß.

Den japanischen Medien war der Kohl-Besuch nur eine Kurzmeldung wert. Da klingt es fast vermessen, wenn die Zeit in dieser Woche lobt, Kohl habe in der Außenpolitik ein Vertrauenskapital angehäuft, das er zu Hause nie einheimsen konnte. Jedenfalls in Japan hatte der Kanzler kein Kapital zu verspielen: Als er die japanische Regierung aufforderte, im Streit mit Moskau um die Kurileninseln ein „Geben und Nehmen“ zu praktizieren, hatten das die anwesenden Japaner selbstbewußt überhört. Tokio will eben von Kompromissen mit Moskau auch dann nichts wissen, wenn sie der deutsche Bundeskanzler verlangt.

Das politische Desinteresse war dennoch gegenseitig. Wo die Japaner es an inhaltlichem Interesse für Kohls außenpolitische Visionen fehlen ließen, versetzten die Deutschen ihre Gastgeber mit professionellen Stilfehlern. Daß sich in Kanzleramt und Botschaft niemand mehr an den Namen des ehemaligen japanischen Premiers Kiichi Miyazawa erinnerte, der dann in einem in Tokio verteilten Kohl-Manuskript unter „Miyazaki“ fungierte, störte die deutschen Diplomaten nicht. Ebensowenig wollten sie bemängeln, daß der Kanzler während seiner Rede in der Keio-Universität über den Namen des Literaturnobelpreisträgers Kenzaburo Oe stolperte.

Etwas mehr Vorbereitung hätte man vom Kanzler verlangen können, weil er sich der regressiven Tendenz der deutsch-japanischen Beziehungen durchaus bewußt war. Woran es in Wirklichkeit hapert, demonstrierte Kohl dann selbst. „Warum spricht er soviel über die Vergangenheit und sowenig über die Zukunft unserer Länder“, fragte die Germanistikstudentin Megumi Shigematsu.

Kohl hatte die Zukunft gleichwohl im Sinn gehabt, als er seinem Publikum eine fast schon aufdringliche Geschichtslektion erteilte. „Sie gehören einer Generation an, die die Chance hat, keinen Krieg mehr erleben zu müssen“, hämmerte er den Studenten ein und vergaß auch „die ganz besondere Verantwortung von Deutschen und Japanern angesichts der Geschichte“ nicht. Am Ende hörte sich das für den Germanistikprofessor Taro Saito an, als habe ein Richard von Weizsäcker gesprochen. Die Politologin Atsuko Higashino hatte in Kohls Plädoyer sogar ein Bekenntnis zum Pazifismus-Artikel neun der japanischen Verfassung vernommen.

Kohl als Pazifist in Tokio gefeiert? Vielleicht wäre das ein weiteres Mißverständnis zwischen Japanern und Deutschen, denen man gerne Gemeinsamkeiten unterstellt. Nach den Erfahrungen des Kohl-Besuchs spricht jedenfalls viel für die vielfach belegte These, daß die Weltkriegsachse Tokio–Berlin nicht so sehr auf kulturideologischem Gemeinsinn als auf chronologischem Zufall gründete.

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