piwik no script img

Kanal lehnt Schlußstrich unter NS-Aufarbeitung ab

■ Besorgnis über erhöhte Akzeptanz von Nationalismus unter Intellektuellen

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jerzy Kanal, hat Forderungen nach einem Schlußstrich unter das „dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte“ entschieden abgelehnt. „Je weiter die verbrecherische Zeit entfernt liegt, desto dringender wird die Notwendigkeit zu verhindern, daß deren Ursachen und Auswirkungen in Vergessenheit geraten“, betonte Kanal gestern bei einer Gedenkfeier zum 52. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Nur ein aktives Erinnern könne helfen, eine wie auch immer geartete Wiederkehr abzuwenden.

Den Aufstand im Warschauer Ghetto würdigte der Gemeindevorsteher als eine „Tat der verzweifelten Auflehnung, die von Anbeginn an vom Untergang gezeichnet war“. Sie sei „im vollen Bewußtsein der Aussichtslosigkeit allein zur Rettung der menschlichen Würde vollbracht“ worden.

Zur aktuellen Situation sagte Kanal, man dürfe sich nicht dadurch täuschen lassen, daß die Häufigkeit fremdenfeindlicher und antisemitischer Zwischenfälle in den vergangenen Monaten leicht zurückgegangen sei. Es stehe fest, daß die Gewaltbereitschaft dieser Szene „unverändert bestehen bleibt“, und jeder einzelne Vorfall dieser Art sei einer zuviel. Besorgt äußerte er sich auch über Tendenzen einer „erhöhten Akzeptanz des nationalistischen Gedankenguts unter Intellektuellen“.

Die Veranstalter des „Antinationalen Aktionswochenendes“ am 6./7. Mai in Berlin haben gestern kritisiert, daß der 50. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus „im Vorfeld immer mehr zum Promotions-Feldzug für die Umwidmung deutscher TäterInnen in Opfer und Verfolgte“ gerate. Sie kritisierten insbesondere Bundeskanzler Kohls Äußerung, der 8. Mai wecke „auch die Erinnerung an Millionen unschuldiger Deutscher, die ihre Heimat verloren hätten“. Kohl habe zudem daran erinnert, daß in Ostdeutschland „auf die braune Diktatur die rote gefolgt sei“. Informationen zum Aktionswochenende gibt es unter Tel./Fax: 040/43 88 46. ADN/taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen