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Kanadas „Ahornblatt“ vor dem Verwelken?

Entweder wird am 23. Juni der Sonderstatus der franko-kanadischen Provinz Quebec anerkannt, oder Kanada könnte auseinanderbrechen  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Elijah Harper, ein 41jähriger Cree-Indianer aus der Provinz Manitoba, und die 51 Abgeordneten im Provinzparlament Neufundlands halten in diesen Tagen das Schicksal Kanadas in ihren Händen. Der Indianerführer kann mit seinem Eintreten für die verfassungsmäßige Anerkennung der halben Million kanadischer Indianer auch weiterhin eine Abstimmung seines Parlaments über den Sonderstatus der Provinz Quebec blockieren. Und wenn auch noch die Parlamentsvertreter der halben Million Neufundländer am heutigen Freitag gegen die Ratifizierung des sogenannten Meech-Lake-Abkommens stimmen, dann droht Kanada auseinanderzubrechen. Denn das bereits 1987 verfaßte Abkommen muß bis Samstag nacht von allen zehn Provinzen ratifiziert worden sein. Sollte dies nicht geschehen, wäre auch der vermutlich letzte Versuch zur Schlichtung des traditionellen Kultur- und Sprachenstreits in der 123jährigen Geschichte der kanadischen Konföderation gescheitert.

Das Abkommen von Meech-Lake ist das Werk des konservativen Premiers Brian Mulroney, der 1984 mit dem Versprechen an die Macht gekommen war, „Quebec wieder in die kanadische Familie aufzunehmen“. Trotz seines nachhaltigen Eintretens für ein insgesamt zweisprachiges und bi-kulturelles Kanada hatte Mulroneys charismatischer Vorgänger, Pierre Trudeau, Quebec nicht zur Unterzeichnung der Verfassung von 1982 bewegen können. Nach den Bomben der „Front zur Befreiung Quebecs“ in den sechziger Jahren und nach der radikalen, aber erfolglosen Separatistenbewegung der siebziger stellt die im Meech-Lake-Abkommen gefundende Formel von einer „eigenen Gesellschaft“ in Quebec für die dortigen Frankokanadier nun das Mindestmaß an konstituierter Unabhängigkeit dar.

Dabei sieht das wirtschaftlich prosperierende Quebec, dessen Bruttosozialprodukt mittlerweile über ein Viertel des gesamtkanadischen ausmacht, einem Scheitern des Meech-Lake -Abkommens ruhiger entgegen als viele der wirtschaftlich schwächeren anglokanadischen Provinzen. Das im letzten Jahr in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwischen den USA und Kanada (Handelsvolumen rund 150 Milliarden Dollar) hat die wirtschaftliche Position der frankokanadischen Finanz- und Busineßelite noch weiter gestärkt.

Während die separatistische „Parti Quebecois“ das Unabhängigkeitsreferendum 1980 noch eindeutig verloren hatte, sind gegenwärtig 60 Prozent der Einwohner Quebecs bereit, es bei der Ablehnung des geforderten Sonderstatus notfalls auch alleine zu versuchen. Genau dieses neue wirtschaftliche Selbstbewußtsein der sechs Millionen Frankokanadier stößt allerdings in den übrigen Provinzen auf erhebliche Ressentiments.

Schon als die Quebecois 1988 die kulturelle „Schutzbestimmung“ durchgesetzt hatten, daß alle öffentlichen Schilder in ihrer Provinz ausschließlich französische Beschriftungen tragen durften, hatten viele der 20 Millionen Anglokanadier wütend reagiert. In einigen Provinzen wurden zweisprachige Zeichen - die Symbole von Trudeaus Kampf für den kulturellen Ausgleich - abgerissen und durch rein englische Lettern ersetzt.

Da der Kompromiß des Meech-Lake-Abkommens durch eine generelle Stärkung der Provinzhoheiten erkauft wurde, warnen nicht nur die Gegner Quebecs vor dem Inkrafttreten der Verfassungsreform. „Entweder bringt Quebec unser Land um, oder die Dezentralisierung tut's“, so beschrieb ein Politikprofessor an der Universität von Toronto die zersetzenden Folgen des Kompromisses. Solange nicht eine dringend nötige Parlamentsreform die Bedeutung des nahezu machtlosen Senats aufwerte, so lautet das Argument, könne sich Kanada eine weitere Schwächung des Zentrums nicht leisten. Sonst könne man lieber gleich über einen Anschluß einiger Provinzen an den mächtigen Nachbarn USA nachdenken.

Ehe es dazu kommt, hoffen Premier Mulroney und sein Kabinett, das umstrittene Abkommen bis zum Samstag doch noch durch die Provinzparlamente von Manitoba und Neufundland schleusen zu können. Um den Stichtag durch ein Sondervotum des kanadischen Unterhauses notfalls noch einmal hinausschieben zu können, wurden die Parlamentsferien in dieser Woche vorsichtshalber verschoben.

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