DIE MÜSSIGGÄNGER : Kalte Poller
Der Musikus ist wieder da. Er steht im U-Bahnhof Südstern und spielt auf seiner Gitarre Blues, als ob der Bahnhof seine bezaubernde Geliebte wäre. Spenden sammelt er nicht in einem Hut oder Gitarrenkoffer, sondern im Unterteil eines Espressokochers. Und jedes Mal denke ich: Wenn der damit Kaffee kocht – igitt. Aber er spielt sehr schön, und ich freue mich.
Auch die anderen sind alle wieder da. Kaum ist der Schnee weg und es ist knapp über null, hocken sie wieder auf der Admiralsbrücke. In ihren engen Hosen, mit den schwarzen Streberbrillen und bunten Baumwollbeuteln für acht Euro vom Flohmarkt. Weil man da so gut sitzen kann, labern, auf den Kanal gucken. Über Weihnachten waren sie bei Mutti, und jetzt müssen sie sich erst mal wieder daran gewöhnen, nicht nach jedem Satz „gell“ zu sagen. Oder sie kommen aus Spanien und denken, es ist eine typische Berliner Eigenschaft, dass man immer „gell“ sagt und sich auf kalten Brückenpollern den Arsch abfriert. Wenn demnächst im Lonely Planet steht, dass es geil ist, auf Altglascontainer zu klettern, dann kaufen sie sich Schuhe mit Spikes, und los geht’s. Wenn ich zum Kotti will, gehe ich immer schnell über die Brücke, damit keiner denkt, ich gehöre dazu.
Und die Joggerinnen und Jogger, hallo, auch alle wieder da. Manche haben ja richtig durchgemacht, den ganzen Winter, immer am Kanal entlang, auch als alles dick verschneit war. Aber das war nur der harte Kern. Jetzt sind es wieder richtig viele. Wenn man versucht, ihnen in die Augen zu sehen – vergebens. Konzentriert starren sie auf den Boden oder ins Nichts, als wenn da der Film ihres Lebens liefe. Viele von ihnen sehen so gequält aus. Männer mit zusammengebissenen Zähnen, Frauen mit ganz roten Gesichtern. Als wieder eine an uns vorbeiläuft, schleppend und keuchend, rufe ich ihr hinterher: „Cellulite ist erblich bedingt!“ MARGARETE STOKOWSKI