: Kalkulierte Katastrophe
Die Währungsunion vom 1. Juli 1990 war die entscheidende Etappe zur politischen Einheit. Schon seit Februar 1990 wurden in Bonn die Weichen für eine rasche „Wirtschaftseinheit“ gestellt. Der Preis: das Zusammengehen der CDU mit der einstigen Blockpartei Ost-CDU
von JÖRG ROESLER
Um die Währungsunion ranken sich Legenden. Seit fast einem Jahrzehnt schon. Das Zusammenrutschen der ostdeutschen Betriebe nach der Öffnung der DDR-Planwirtschaft für den Markt sei zwar zeitweise mit sozialen und mentalen Härten für die neuen Bundesbürger verbunden gewesen. Als Akt „schöpferischer Zerstörung“ habe sie letztlich ein langsames Dahinsiechen der ostdeutschen Wirtschaft verhindert. Sie habe dem Willen der DDR-Bürger entsprochen, die sich in den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 mehrheitlich hinter jenes Wahlbündnis gestellt hätten, das die rasche D-Mark verhieß. Der Wahlsieger Lothar de Maizière – Chef des Wahlbündnisses „Allianz für Deutschland“ und seit dem 12. April Ministerpräsident der DDR – habe nur den Wählerwillen vollstreckt, als am 18. Mai 1990 jener Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Bonn unterzeichnet wurde, durch den die DDR ab 1. Juli nicht nur auf ihre Souveränität in Währungsfragen zugunsten der Bundesbank, sondern faktisch durch eine Überleitungsgesetzgebung auch auf ihre Wirtschaftshoheit verzichtete.
Doch so geradlinig und einfach war der Verlauf nicht. Die eigentlichen Akteure saßen nicht in der Regierung de Maizière. Auch beginnt die Geschichte der Währungsumstellung von der Mark der DDR auf die D-Mark – der Name Währungsunion ist eigentlich irreführend – nicht erst mit jenem ersten Expertentreffen unter Leitung des Bundesbankdirektors Hans Tietmeyer und des von de Maizière beauftragten DDR-Verhandlungsführers Günter Krause am 25. April 1990.
Soweit heute anhand von Dokumenten nachvollziehbar, begann die Geschichte der Währungsunion am 2. Februar 1990. An diesem Tag lag auf dem Schreibtisch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl das von ihm angeforderte Papier „Schritte zur deutschen Wirtschaftseinheit“. In dem „Stichwort-Konzept“ stand im ersten Absatz die Forderung: „Sofortige Einführung der D-Mark als gemeinsame Währung in Deutschland. [. . .] Die Bundesbank übernimmt die Verantwortung für die Geldwertstabilität auch in der DDR.“ Drei Tage später war aus der Denkschrift bereits eine Beschlussvorlage geworden.
Schon am 7. Februar, pünktlich um 17 Uhr, trat ein Kabinettsausschuss „Deutsche Einheit“ unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Sieben Arbeitsgruppen wurden vom Kabinett ernannt, jede unter Federführung eines Bundesministeriums. Sie erhielten den Auftrag, „die notwendigen Schritte und Entscheidungen“ für eine Anpassung der DDR an die Strukturen der Bundesrepublik auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und rechtlichem Gebiet vorzubereiten. Für die Arbeitsgruppe „Bildung einer Währungsunion, Finanzfragen“ übernahm das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Federführung.
Am 5. März lag seitens des BMF eine „erste Skizze eines Modells für einen Vertrag“ zur Währungsunion vor. Da hieß der Ministerpräsident in der DDR noch Hans Modrow, und der glaubte, das Ende Januar von seiner Regierung beschlossene und vom Runden Tisch gebilligte Programm einer schrittweisen Einführung der Marktwirtschaft in der DDR auf dem Weg zu „Deutschland, einig Vaterland“ verwirklichen zu können.
Weitere zwei Wochen später, am 20. März – der Wahlsieger der „Allianz“, Lothar de Maiziére, steckte erste Fühler für eine Regierungsbildung aus –, hatte sich die Bonner Regierungskoalition auf einen „Fahrplan zur deutschen Einheit“ verständigt. Darin stand, „dass eine Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR bis zum Sommer dieses Jahres erreicht werden soll“. „Von da an“, so der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in seinen 1991 veröffentlichten Erinnerungen, „arbeiteten die Ressorts, erfreulicherweise ohne jede öffentliche Begleitmusik, intensiv an den unendlich vielen Fragen einer künftigen Überleitungsgesetzgebung.“
Nicht umsonst stand auf dem Papier „Schritte zur deutschen Wirtschaftseinheit“ an oberster Stelle der Hinweis: „Vorbedingung: Entscheidung für eine schnelle Verwirklichung der politischen Einheit!“ Für eine schnelle Einheit fehlte aber Anfang Februar im Osten Deutschlands noch die politische Kraft. Die politische Führung der DDR, verkörpert durch die Ende Januar von Modrow unter Beteiligung der Bürgerrechtsgruppen gebildete „Regierung der nationalen Verantwortung“ und den Runden Tisch, hielt nichts von einer überstürzten Einheit, Teile der Bürgerrechtler waren sogar prinzipiell gegen ein Aufgehen der DDR im größeren deutschen Staat.
Die PDS kam für Kohl sowieso nicht als Partner in Frage. Wohl aber hatte man im Bundeskabinett anfangs vor, die Bürgerrechtler für eine vergrößerte Bundesrepublik zu gewinnen. Am 25. Januar hatte Bundeskanzleramtsminister Rudolf Seiters zu diesem Zweck in Ostberlin mit Vertretern von acht Bürgerrechtsorganisationen ein Gespräch geführt. Fred Ebeling vom Demokratischen Aufbruch war ebenso gekommen wie Konrad Weiß von Demokratie Jetzt, Bärbel Bohley vom Neuen Forum und Gisela Henze von der Grünen Liga.
Seiters war von dem Gespräch enttäuscht. Die Mehrzahl der Gruppen sei bestenfalls unter der Last der augenblicklichen drückenden Probleme bereit, einzelne Vorschläge aus Bonn zu akzeptieren, nicht aber das Gesamtkonzept zur deutschen Einheit.
Lediglich zwei politische Gruppierungen aus der DDR schienen für die Bonner Pläne geeignet: Der Demokratische Aufbruch (DA) hatte in Bonn bereits gewichtige Fürsprecher, die Deutsche Sozialunion (DSU) bei der Schwesterpartei CSU in München. Auf beide allein gestützt, war aber am 18. März keine Wahl zu gewinnen. Die im Herbst gegründeten Bewegungen waren klein und verfügten kaum über ein Organisationsnetz an der Basis. Beides besaß dagegen die ehemalige Blockpartei, die Ost-CDU. Der Kanzler entschloss sich, auch die Partei der christlichen „Blockflöten“ zum Mehrheitsbeschaffer für die deutsche Einheit nach Bonner Vorstellungen zu machen.
Hierzu musste sich Kohl erst überwinden. Am Vorsitzenden der Ost-CDU de Maiziére hatte den Bundeskanzler bis dahin gestört, „dass dieser noch durchaus positiv von den sozialistischen Errungenschaften der DDR reden konnte“. Doch ohne die Ost-CDU ließ sich die rasche Einheit nicht verwirklichen. So traf Kohl am 5. Februar mit dem Berliner Juristen und Musiker sowie dem Leipziger Pfarrer Fred Ebeling und dem Rostocker Rechtsanwalt Wolfgang Schnur in Berlin zusammen und schmiedete mit ihnen die dann am 18. März siegreiche „Allianz für Deutschland“. Man solle sich um den Ausgang der Wahlen nicht sorgen, auch wenn im Moment die SPD in der Gunst der Wähler in der DDR vorn stünden. CDU und CSU würden für Geld und prominente Wahlkämpfer aus dem Westen sorgen.
Am gleichen Tag, als sich Kohl mit den Vertretern von DA, DSU und Ost-CDU traf, wurde an anderem Ort in Berlin auch über die Volkskammerwahlen gesprochen und folgende Stellungnahme abgegeben: „Die am Runden Tisch vertretenen Parteien und Gruppierungen erklären, im Sinne der Chancengleichheit und eines fairen Wahlkampfes bei allen öffentlichen Veranstaltungen bis zum 18. März 1990 auf Gastredner aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu verzichten.“ Eingebracht hatte den Antrag die Initiative für Frieden und Menschenrechte. Die Forderung nach einem „Wahlkampf der Chancengleichheit“ wurde mit 22 gegen 10 Stimmen bei 6 Enthaltungen von den Vertretern des Runden Tischs angenommen. Sie blieb wirkungslos.
Nachdem die „Allianz für Deutschland“ am 18. März bei einer Wahlbeteiligung von 92 Prozent mehr als 48 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, kommentierte Schäuble die Funktion des Wahlbündnisses „Allianz“ zufrieden: „Sie hatte ihren Zweck erfüllt. Sie erlaubte der CDU den Einsatz ihrer vollen politischen Kraft im Wahlkampf, und sie ermöglichte es, dass Helmut Kohl der eigentliche Wahlkämpfer und dann auch der eigentliche Wahlsieger wurde.“
Des Kanzlers Kalkül war also aufgegangen. Die politische Flanke der Währungsunion war gesichert. Aus Ostberlin war kein Störfeuer gegen den „Fahrplan zur deutschen Einheit“ mehr zu erwarten. Die „Ressorts“ konnten weiterhin „ohne jede öffentliche Begleitmusik“ an jenem Gesetzeswerk arbeiten, von dem Helmut Kohl bei der Unterzeichnung des Vertrags in Bonn im Mai verkündete, durch es werde „die Geschichte der Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR [. . .] unauflöslich miteinander verwoben“.
Keineswegs war dies eine der üblichen Politikerfloskeln; es war die Wahrheit. Tatsächlich haben die für die Wirtschaft (und die Steuerkraft) der DDR katastrophalen Auswirkungen der Währungsunion von Juni bis August – die Mehrzahl der DDR-Industriebetriebe war zahlungsunfähig, der Bankrott der Regierung konnte nur noch mit Hilfe bundesdeutscher Finanzspritzen verhindert werden – den Zeitplan für die Herstellung der dann am 3. Oktober 1990 vollzogenen politischen Einheit nicht nur wesentlich diktiert, sondern seine Ablehnung seitens der DDR faktisch unmöglich gemacht. Der politische Zweck heiligte nicht nur die unschönen wirtschaftlichen Mittel, sondern setzte deren katastrophale Wirkung geradezu voraus. Insofern war der erste Staatsvertrag, der über die Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion, die eigentliche Geburtsurkunde der erweiterten Bundesrepublik.
JÖRG ROESLER ist freischaffender Wirtschaftshistoriker und lehrt Volkswirtschaft an der Berliner Hochschule der Künste
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