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Kalkuliert blamiert

Ronald Barnabas Schill kam mit seiner Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen am 23. September 2001 auf 19,4 Prozent. Auf diese Weise verhalf er der seit über vierzig Jahren oppositionellen CDU, der zuvor kaum existenten FDP und seiner eigenen Organisation zur gemeinsamen Übernahme des Senats.

Im Juli dieses Jahres beschloss die PRO gegen den Wunsch Schills, auch zur Bundestagswahl anzutreten. Ob sie jedoch Ende kommender Woche mehr als anderthalb Prozent erzielt, ist nach Kenntnis sämtlicher Meinungsforschungsinstitute zu bezweifeln.

Alles, was man von den hastig aufgezäumten Gründungsakten der Landesverbände gehört hat, klang nach Desaster. Schills Anhänger stellten sich ungeschickt an: Der frisch gewählte Vorstand in Mecklenburg-Vorpommern musste im Juli wieder zurücktreten, weil die Parteisatzung falsch ausgelegt worden war. Die Gründung des Berliner Landesverbands ist im August geplatzt, eine Vorstandswahl wurde auf Oktober verschoben.

Um überregional in die Schlagzeilen zu kommen, leistete Schill sich Ende August im Bundestag einen geradezu bizarr unpassenden Auftritt. In seiner Rede als Mitglied des Bundesrates warf er der Regierung vor, das Geld, das für die Fluthilfe benötigt werde, „in der Vergangenheit verfrühstückt“ zu haben, vor allem für Flüchtlings- und Katastrophenhilfe in aller Welt. „Wir haben die tüchtigsten Menschen, ohne Zweifel, aber sicherlich die unfähigsten Politiker“, sagte Schill.

Als Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs ihn wegen Überziehung der Redezeit von fünfzehn Minuten mahnte, sagte Schill, seine Redezeit sei „unbegrenzt“, und fuhr an die Adresse von Fuchs fort: „Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Aber Bruch der Verfassung ist Ihnen ja nichts Neues.“ Fuchs drehte im schließlich das Mikrofon ab.

Ob Schill seine Strategie des so genannten kalkulierten Tabubruchs eingehalten hat, steht dahin. In Hamburg jedenfalls titelte die Welt, sonst grundsätzlich auf seiner Seite: „Schill blamiert Hamburg im Bundestag.“ Nur mit Mühe gelang es Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU), seine Koalition zu retten – vorerst.

Erstes Aufsehen hatte Amtsrichter Schill 1996 in Hamburg erregt, als er eine psychisch kranke Frau zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilte, weil sie den Lack von zehn Autos zerkratzt hatte. Schill pflegte fortan Journalisten zu seinen Urteilsverkündungen einzuladen. Ab 1997 erklärte er in Interviews, Hamburgs Justiz habe „ein Herz für Verbrecher“. 1999 begann er bei Veranstaltungen von CDU-Ortsgruppen zu referieren – ehe die Hamburger CDU-Spitze sich dies verbat.

Im Juli 2000 gründete Schill mit ein paar Dutzend Anhängern seine Partei: die PRO. Weil es um das Kürzel Ärger gab (mit der Anti-Euro-Partei „PRO DM“), firmiert man nur noch als Schill-Partei. UWI

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