: Kahlschlag »oder« Kolonie?
■ Vom Umgang mit Wissenschaft — nicht nur in der ehemaligen DDR
Kaum noch Zweifel kann es daran geben, daß sich gegenwärtig in den neuen Bundesländern die größte Massenarbeitslosigkeit von WissenschaftlerInnen entwickelt, die es hierzulande jemals gegeben hat. Die Zerstörung eines großen Teils des Wissenschaftspotentials der Ex-DDR scheint unaufhaltsam; sie zu finanzieren kostet in den nächsten Jahren Hunderte Millionen Mark — von den Reparaturkosten ganz zu schweigen. Es geht um die politische Kontrolle der neuen deutschen Wissenschaftslandschaft. Die großen gesellschaftlichen Projekte der nächsten Jahre spielten bislang beim Anschluß der Ex-DDR-Wissenschaft keine Rolle: Von demokratischer und ökologischer Erneuerung, Entmilitarisierung, der Überwindung des Patriarchats, von sozialer Gleichheit und Sicherheit war praktisch keine Rede; statt dessen werden fast 40.000 WissenschaftlerInnen der Ex-DDR mit einer »[...] Art Neuauflage des ‘Radikalenerlasses‚ mit anderen Mitteln« ('FAZ‘) überzogen. Hierbei schwankten die Optionen zwischen den »Alternativen« Kahlschlag oder Kolonie. In nahezu allen wissenschafts- und hochschulpolitisch relevanten Feldern wurden ohne parlamentarische bzw. öffentliche Kontrollgrundlage, an Bundestag, Volkskammer und Landtagen vorbei vollendete Tatsachen geschaffen. Gewerkschaften hingegen, BürgerInneninitiativen, demokratische Verbände der WissenschaftlerInnen oder Personalvertretungen — mithin die Betroffenen selbst — waren fast vollständig ausgeschaltet. Was nicht so bleiben muß.
Vor dem Hintergrund dieser Ereignispalette veranstaltet der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) eine Arbeitskonferenz mit dem Titel Wissenschaft und Hochschule in der neuen deutschen Republik — demokratische Alternativen. Sie findet statt an diesem Wochenende vom 19. bis 20. Oktober an der Humboldt-Universität Berlin (HUB) Unter den Linden 6, Berlin 1080 und soll zuerst ein Forum jener sein, deren Probleme, Interessen und Bedürfnisse bei der Neugestaltung der neuen deutschen Wissenschaftslandschaft schon zu Beginn kaum oder gar nicht gehört worden sind. Das Programm wird eröffnet am Freitag ab 20 Uhr im Audimax der HUB mit einer Debatte zum Thema Wissenschaft und Hochschule in Deutschland. Hieran nehmen teil: Prof. Dr. Verena Fesel (Vizepräsidentin der FH Hamburg), Prof. Dr. Heinrich Fink (Präsident der HUB), Prof. Dr. Johannes Schneider (Rektor der FH Frankfurt) sowie Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90, Vizepräsident der ehemaligen DDR-Volkskammer). Moderation: Prof. Dr. Reinhard Kühnl (Marburg), BdWi-Bundesvorstand.
Am Samstag von 9 bis 13 Uhr und 14.15 bis 17.30 Uhr finden — ebenfalls in den Räumen der HUB — Arbeitsgruppen mit über 75 ReferentInnen statt zu unterschiedlichen Themengebieten wie z.B.: Hochschule und Hochschulpolitik im »neuen Deutschland«; Forschungs- und Technologiepolitik; Sozial- und Geisteswissenschaften; alte und neue Armut in der Wissenschaft und alternative Organisationsformen, Gegenwehr und Perspektiven; Frauen in der Wissenschaft, Wissenschaft für Frauen; Politik und Psychopathologie der Vereinigung, Nachdenken über den Zustand der Nation; Hochschule und Studium in den neunziger Jahren.
Am Sonntag von 9.30 Uhr bis 15.30 Uhr schließlich findet die Mitgliederversammlung des BdWi in der HUB statt. Weiterführende Informationen, ausführliches Programm und Anmeldung beim Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), Postfach 543, 3550 Marburg; Telefon: 06421/21395, Fax: 06421/24654 (verantwortlich: Gerd Kempken) oder BdWi-Büro Berlin, c/o Dr. Klaus Labsch, Brunnenstraße 26, Berlin 1054 (Tagungsbeitrag: 20 DM für Berufstätige, 10 DM für andere).
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